Outback (2019)

Originaltitel: Outback
Regie: Mike Green
Drehbuch: Brien Kelly, Mike Green
Kamera: Tim Nagle
Musik: Justin Bell
Laufzeit: 86 Min.
Darsteller: Lauren Lofberg, Taylor Wiese, Brendan Donoghue, Kym Cramp
Genre: Thriller, Drama, Survival
Produktionsland:
FSK: ab 16 Jahre

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Ein junges amerikanisches Paar will einen abenteuerlichen Urlaub in Australien verbringen. Durch ein defektes Navigationsgerät landen sie auf dem Weg zum Ayers Rock im rauen australischen Outback und verlieren vollkommen die Orientierung. Ein harter Überlebenskampf beginnt.

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Beim Titel des vorliegenden Films denkt man unweigerlich an Nicholas Roegs „Walkabout“ aus dem Jahr 1971, in dem zwei Kinder im australischen Outback um ihr Überleben kämpfen. Zumindest ging es mir so, als ich das erste Mal vom vorliegenden „Outback“ hörte. Mike Greens Regiedebüt sieht optisch schon einmal sehr professionell aus und nimmt den Zuschauer von der ersten Minute an auf eine hypnotische Reise mit. Entgegen einiger anderer Rezensenten fühlte ich mich dem Paar sofort nahe und habe während des gesamten Films mit ihnen mitgefiebert. Gerade die Liebesgeschichte (beziehungsweise die Probleme in der Beziehung) waren aus meiner Sicht sehr überzeugend dargestellt. Green lässt sich zudem Zeit mit dem Drama, bringt uns die beiden Protagonisten und die wunderschöne Landschaft Australiens erst einmal nahe, um dann einen Albtraum zu präsentieren, der betroffen macht. Das Gefühl von bevorstehenden schönen Zeiten während eines Individualurlaubs wird sehr gut rübergebracht, so dass man sich sofort angesprochen fühlt, weil man sich solch einen Trip genau in dieser Art vorstellt.

Die beiden Darsteller machen ihre Sache hervorragend. Lauren Lofberg und Taylor Wiese agieren sehr ungezwungen und daher authentisch. Ihr Schauspiel überzeugt in sämtlichen Situationen und lässt die Laufdauer des Films von eineinhalb Stunden wie im Flug vergehen. Mike Green schafft es, aus einer im Grunde genommen einfachen Handlung einen megaspannenden und kurzweiligen Film zu machen, der in keiner Sekunde Längen aufkommen lässt. Für den heutigen Mainstream-Kinogänger dürfte allerdings der Überlebenskampf des Paares oft langweilig sein, weil keinerlei spektakuläre Action zu sehen ist, sondern eindeutig mehr Wert auf Schauspielerei und dramatische Entwicklungen gelegt wird. „Outback“ ist in meinen Augen ein (Liebes-)Drama, das zu Herzen geht, wenn man sich auf die Geschichte einlassen kann. Regie, Kameraarbeit und Score sind unglaublich gut und vermitteln eine intensiv erzählte Geschichte, die einen noch lange beschäftigt, könnte sie schließlich jedem von uns passieren.

„Outback“ hat meine persönlichen Erwartungen übertroffen, was sowohl an der Inszenierung als auch den Schauspielern lag. Gerade die Ungezwungenheit, mit der das Drama beginnt, vermag einen Hauch von Realität zu vermitteln, der das Gezeigte um so furchtbarer erscheinen lässt. Ich bin gespannt, mit was Regisseur Mike Green als nächstes überrascht, denn sein Handwerk als Regisseur versteht er definitiv. Und Kameramann Tim Nagle hält die Schönheit und den Reiz des australischen Outbacks in beeindruckenden Bildern fest.

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Fazit: Kurzweiliges, schön inszeniertes und gut gespieltes Überlebensdrama.

©20222 Wolfgang Brunner

Die Farbe des Horizonts (2018)

horizont

Originaltitel: Adrift
Regie: Baltasar Kormákur
Drehbuch: Aaron Kandell, Jordan Kandell, David Branson Smith
Kamera: Robert Richardson
Musik: Volker Bertelmann
Laufzeit: 97 Minuten
Darsteller: Shailene Woodley, Sam Claflin, Grace Palmer, Jeffrey Thomas, Elizabeth Hawthorne
Genre: Drama, Abenteuer
Produktionsland: USA
FSK: ab 12 Jahre

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Tami lernt auf Tahiti den attraktiven Segler und Weltenbummler Richard kennen. Die beiden verlieben sich bis über beide Ohren und beschließen, gemeinsam den Pazifik zu befahren. Doch mitten auf dem Meer werden sie von einem gewaltigen Unwetter heimgesucht. Als Tami erwacht, ist das Boot nur noch ein Wrack und Richard verschwunden …

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Es beginnt alles wie ein wunderbarer Traum, der sich erfüllt. Tami lernt die Liebe ihres Lebens kennen und beginnt das größte Abenteuer ihres Lebens. Shailene Woodley und Sam Claflin meistern ihre Rollen von der ersten Minute an hervorragend und man nimmt ihnen das Verliebtsein uneingeschränkt ab.  Es ist eine wahre Freude, den beiden zuzusehen, wie sie sich kennenlernen und beschließen, das Leben ab sofort gemeinsam zu meistern. Regisseur Baltasar Kormákur, der schon mit dem beeindruckenden „Everest“ absolut überzeugen konnte, zeigt auch hier sein Können, in dem er (einen übrigens absolut unkitschigen, sondern authentischen) Liebesfilm mit spannendem Überlebenshorror kombiniert. Durch wunderschöne Aufnahmen vergisst man anfangs, was einen aufgrund der Inhaltsangabe erwartet und genießt eine wunderbare, glückliche Zeit mit den beiden Protagonisten. „Die Farbe des Horizonts“ orientiert sich an einer wahren Begebenheit, die sich im Jahr 1983 ereignete und durch den autobiografischen Erfahrungsbericht mit dem Titel „Red Sky In Mourning: A True Story Of Love, Loss And Survival At Sea“ von der betroffenen Seglerin Tami Oldham Ashcraft schriftlich festgehalten wurde.

Dem Film wird oftmals vorgeworfen, er nehme sich keine Zeit für die Charakterentwicklung des Liebespaars, was ich absolut nicht bestätigen kann. Alles wirkt sehr echt und in Anbetracht eines eineinhalbstündigen Films hätte man es nicht besser inszenieren können. Woodley agiert in manchen Szenen wie einst Kate Winslet in James Camerons Bloickbuster „Titanic“ und bestätigt ihr schauspielerisches Talent, das sie in „Das Schicksal ist ein mieser Verräter“ schon einmal bewiesen hat. Die junge Schauspielerin spielt sehr intensiv und glaubwürdig. Aber auch Sam Clalfin, den die meisten wahrscheinlich aus „Ein ganzes halbes Jahr“ kennen, passt sehr gut in den Film und verkörpert Richard überzeugend. Beide Schauspieler tragen neben den beeindruckenden Aufnahmen den gesamten Film und vermitteln eine außergewöhnliche Atmosphäre, der man sich nicht entziehen kann. Ich hätte dem Paar noch gut und gerne eine Stunde länger zusehen können,wie sie um ihr Überleben und ihre Liebe kämpfen.

Der Score von Volker Bertelmann ist absolut passend – mal wunderschön romantisch und ruhig, mal bombastisch und nervend. Seine Musik rundet das Survival-Drama nach tatsächlichen Ereignissen wunderbar ab und tut das ihrige zur Atmosphäre. „Die Farbe des Horizonts“ ist sehr ergreifend und emotional, ohne jemals wirklich ins Kitschige zu fallen. Die Geschichte wird flüssig erzählt und steuert konsequent auf das deprimierende Finale zu. Tamis Verhalten und ihre Reaktionen während und nach dem Unglück werden sehr gefühlvoll von Shailene Woodley dargestellt und man fühlt mit ihr, spürt ihre Angst und Verzweiflung, bemerkt aber auch den Mut und Durchhaltewillen, den sie an den Tag legt.
Ein sehr geschickter inszenatorischer Schachzug ist der Aufbau des Films, der immer wieder zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselt, so dass die dramatische Seite des Plots eine weitaus emotionalere Seite bekommt, als hätte Baltasar Kormákur das Ganze geradlinig erzählt. Thematisch fühlte ich mich sehr oft an Robert Redfords Drama „All Is Lost“ erinnert, wobei „Die Farbe des Horizonts“ um Längen besser ist, sowohl was Dramaturgie, Inszenierung und auch Schauspielerleistung(en) betrifft.
Baltasar Kormákurs Film ist eine faszinierende Mischung aus Liebes-, Abenteuerfilm und Überlebens-Drama, an das man sich noch lange nach Sichtung erinnert.

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Fazit: Gekonnt inszeniertes Überlebensdrama mit wunderbaren Schauspielern.

© 2018 Wolfgang Brunner

Fenster Blau (2016)

fensterblau

Originaltitel: Fenster Blau
Regie: Sheri Hagen
Drehbuch: Zoe und Sheri Hagen
Kamera: Michael Tötter
Musik: Alexander Precht
Laufzeit: 82 Minuten
Darsteller: Emilio Sakraya, Kristin Alia Hunold, Dietrich Hollinderbäumer, Marko Dyrlich, Anne Zander, Hund Collie, Eyk Kauly
Genre: Drama, Literatur
Produktionsland: Deutschland
FSK: k.A.

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Mitten im eisigen Winter kommt Ljöscha auf der Insel Norderney an. Er ist auf der Suche nach der Wahrheit in seiner Vergangenheit. Ljöscha trifft seinen Großvater, der ihn aber abweist. Doch schließlich siegt die Neugier und er möchte wissen, was mit seiner Tochter ist. An einem anderen Ort verschanzen sich ein älterer Mann und ein junges Mädchen in einer Wohnung. Er ist der Vater des Mädchens, aber er liebt sie verbotenerweise. Beide Schicksale hängen zusammen und Ljöscha kämpft zusammen mit seinem Großvater gegen die Vergangenheit, die beide immer wieder einholt …

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Da sieht man sich einen Film an, geht mit keiner besonderen Erwartungshaltung heran und wird mit einer Wucht gepackt, die einen umhaut. Sheri Hagens zweiter Langfilm orientiert sich an dem prämierten Theaterstück „Muttermale Fenster Blau“ der Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann. Sheri Hagen steht eigentlich vor der Kamera, beweist aber mit „Fenster Blau“ ein dermaßen  eindrucksvolles Gespür für Dramaturgie und künstlerische Inszenierung, dass es einem die Sprache verschlägt. Ich möchte den Film als Meisterwerk und Rückkehr des deutschen Autorenfilms bezeichnen, so sehr haben mich Geschichte, Bilder und Schauspielleistungen in den Bann gezogen. Der Film wirkt wie ein wahr gewordener Albtraum aus Ängsten und Depressionen, aber auch voller Sehnsüchte, Hoffnungen und Liebe. Es ist schlichtweg genial, wie Hagen diese Gratwanderung zusammen mit ihrer Crew meistert und einen hoffnungsvollen und zugleich verstörenden Film auf Zelluloid bannt.

„Fenster Blau“ ist ein Kammerspiel, das auf eine Weise inszeniert wurde, als hätte ein „deutscher Peter Greenaway“ die Hände im Spiel gehabt. Voller Botschaften (ob sinnvoll oder sinnfrei sei einfach mal dahingestellt), die sich durch den gesamten Film ziehen und permanent zum Nachdenken anregen, aber auch zu Wut, Hilflosigkeit und Trauer. Es ist grandios, wie die Schauspieler allesamt diese Woge an Emotionen durch die knapp eineinhalb Stunden transportieren und greifbar machen. Man möchte an einigen Stellen laut losschreien wie der Protagonist Ljöscha, an anderen würde man den hilflosen, zerrissenen Großvater am liebsten in den Arm nehmen oder sich von ihm in den Arm nehmen lassen. Das Gespann Emilio Sakraya (aktuell: „Heilstaetten“ und „4 Blocks“) und Dietrich Hollinderbäumer (zuletzt in „Angst – Der Feind in meinem Haus“ zu sehen) funktioniert hervorragend, ebenso wie das Agieren zwischen Kristin Alia Hunold („Dem Horizont so nah“) und Marko Dyrlich (unter anderem mit dabei in „Babylon Berlin“). Es ist alles so intensiv, so natürlich, so lebensecht. Trotz des überaus ernsten Themas spürt man die Begeisterung der Beteiligten in jeder Filmminute. Ich ziehe meinen Hut vor den Darstellern. Emilio Sakraya fährt so authentisch aus der Haut, dass man eine Gänsehaut bekommt. Dietrich Hollinderbäumer zeigt sich äußerlich roh und innerlich einfühlsam, das ist eine grandiose Leistung, die die beiden Schauspieler da abliefern. Kristin Alia Hunold spielt die kindlich wirkende und innerlich zerstörte Lena, im positiven Sinne, glänzend theatralisch, während Marko Dyrlich sichtlich unwohl seinen Charakter darstellt. Auch hier kann man nur sagen: imposant! Da können sich so manche „Stars“ eine Scheibe abschneiden.

Zu den schauspielerischen Glanzleistungen gesellen sich  aussagekräftige Bildkompositionen und ein grandioser Score, die den Film zu einem echten Erlebnis machen. Man möchte trotz der oftmals unangenehmen Situationen, die geschildert werden, den Schauplatz und die Charaktere nicht mehr verlassen, denn man fühlt sich wohl oder unwohl mit ihnen und kann ihre Emotionen in jeder Hinsicht nachvollziehen. Sheri Hagen hat aus meiner Sicht ein Meisterwerk erschaffen, das mich nachhaltig beeindruckt und noch lange beschäftigen wird. Sie hat Sasha Marianna Salzmanns Theaterstück eine Tiefe verliehen, die seinesgleichen sucht. Alles ist in schwarz-weiß gehalten, nur die Farbe Blau wird sichtbar. Wie in „Pleasantville“ spielt die Regisseurin dieses Stilmittel bis zum Ende konsequent aus, beeinflusst den Zuschauer bis hin zum Happy End, das letztendlich kein Happy End ist. Oder doch?
„Fenster Blau“ ist ein Film zum Nachdenken, aber auch zum Träumen, bei dem man sich auf sich selbst besinnen kann. „Fenster Blau“ ist ein Film für die große Leinwand, ein unvergessliches emotionales Erlebnis, schlichtweg ganz, ganz großes Kino. Wo sind all die Preise, die dieser Film, dessen Schauspieler und Crew, verdient hat?
Ich kann meine Begeisterung schwer zurückhalten, aber eigentlich will ich das auch gar nicht. 😉 Man muss diesen Film gesehen haben!

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Fazit: Ganz großes Kino aus Deutschland. Wunderbar inszeniert und mit beeindruckenden Schauspielerleistungen.

© 2018 Wolfgang Brunner

Scars Of Xavier (2017)

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Originaltitel: Scars Of Xavier
Regie: Kai E. Bogatzki
Drehbuch: Kai E. Bogatzki
Kamera: Philipp Peißen, Lucas Blank
Musik: Klaus Pfreundner (Maintitle:Jan Loamfield)
Laufzeit: 90 Minuten
Darsteller: Marc Engel, Constance Wetzel, Alexia von Wismar, Dirk Sonnenschein, Oliver Troska, Isabelle Aring, Angelina Markiefka, Annika Strauss, Daniele Rizzo, Vanessa Tesch, Lamacra
Genre: Horror, Thriller, Drama
Produktionsland: Deutschland
FSK: k.A.

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Xavier ist ein schüchterner Mittvierziger, der in Prag lebt und arbeitet . Er führt ein unauffälliges Leben am Rande der Gesellschaft. Doch in der Nacht kommt sein wahres Ich zum Vorschein und Xavier wird zu einem brutalen Killer.
Doch eines Tages lernt er die Bedienung Karolina kennen, in die er sich ein wenig verliebt. Nun muss Xavier gegen seinen Drang, zu töten, ankämpfen.

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„Scars Of Xavier“ ist der erste Langfilm des äußerst talientierten Editors (zuletzt Marcel Walz‘ „Blood Feast“) und Regisseures Kai E. Bogatzki. Nachdem mich bereits sein Kurzfilm „Liebe“ hellauf begeistert hat, war die Erwartungshaltung an seinen ersten Spielfilm extrem hoch. Um es gleich vorweg zu nehmen: Bogatzki hat mich absolut nicht enttäuscht, ganz im Gegenteil: Er hat meine Erwartungen sogar noch übertroffen und das mag schon was heißen, denn sie waren wirklich sehr hoch. 😉
Aber der Reihe nach: Alleine die Handlung respektive den Drehort nach Prag zu verlegen war ein absoluter Glücksgriff. Sehr stimmungsvoll wird schon während der ersten Bilder eine beeindruckende Atmosphäre aufgebaut, die einerseits durch die grandiosen Bilder heimelig  andererseits wegen der düsteren Umgebung teils kafkaesk wirkt. Jedenfalls trägt die wunderschöne Kulisse der Stadt einen großen Teil zur gesamten Stimmung des Films bei.

Es gibt so viel über diesen grandiosen Film zu erzählen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. 😉 Das fängt schon beim gewohnt perfekten Schnitt an, der sich durch den ganzen Film zieht. Die Titelsequenz zum Beispiel kann nur grandios bezeichnet werden. „Scars Of Xavier“ ist ein beeindruckendes, brutales, schockierendes und extrem glaubwürdiges Psychogramm eines Serienkillers, das noch lange nachwirkt. Mit Hauptdarsteller Marc Engel hat Kai E. Bogatzki einen Mann gefunden, mit dem er seine Visionen Wirklichkeit werden lassen konnte. Man spürt förmlich in nahezu jeder Einstellung, wie intensiv (und sowohl körperlich als auch psychisch anstrengend) die Dreharbeiten waren. Die Rolle des Xavier ist eine Paraderolle für Marc Engel, der wirklich alles gibt, um dem Bösen ein glaubwürdiges Gesicht zu geben. Das Schlimme und Erschreckende an seiner Darstellung ist, dass dieses Böse ein Mensch und keine erfundene Horrorfigur á la Freddy Krueger, Jason Vorhees oder Michael Myers ist, die nur stereotype Abschlachter mit wenig Informationen über deren Vergangenheit. Aber hier verkörpert Marc Engel einen Menschen, der mit seinen inneren Dämonen ringt und sie alleine bekämpfen muss. Gerade dieser Aspekt macht den Killer Xavier für mich so wahnsinnig erschreckend und bösartig. Ein wenig erinnert sein Charakter tatsächlich an Dexter Morgan, wobei Xavier verzweifelter, hilfloser und dadurch authentischer und fast schon bedauernswerter wirkt. Bogatzki geht psychologischer an die Thematik heran und versetzt den Zuschauer in eine voyeuristische Rolle, weil er ihn in allen Situationen im Leben des Täters teilnehmen lässt, sowohl am nach außen vollkommen normalen Dasein als auch am inneren Kampf des Killers und seinen blutigen Metzeleien an unschuldigen Opfern, die nichts anderes als Hilferufe nach Absolution seiner verkorksten Kindheit und Mutter-Sohn-Beziehung sind.   Marc Engel geht in seiner Rolle so emotional auf, dass man ihm alles abnimmt. Er stellt den unscheinbaren Nachbar und Mitarbeiter genauso glaubwürdig dar, wie den entfesselten Killer, der auf nichts mehr Rücksicht nimmt und seine Taten „genießt“, weil sie ihn in seinen Augen „retten“ und „erlösen“. Ich habe selten eine solch intensive und authentische Darstellung eines Serienkillers gesehen, wie sie hier in „Scars Of Xavier“ von Marc Engel gezeigt wird.
„And the Oscar goes to …. Marc Engel!“

Bogatzki macht den deutschen Film mit seinen innovativen Ideen und ästhetischen Bildern wieder interessant und zeigt, dass auch in Deutschland extrem gute Filme entstehen können. Unweigerlich fragt man sich nach dieser emotionalen Bilderflut, die einen mit „Scars Of Xavier“ überrollt hat, warum solche Werke mühsam mittels Crowdfunding ins Leben gerufen werden müssen und nicht eine große Produktionsfirma zur Seite hat. Man bekommt zum wiederholten Mal unerträgliche Komödien aus Deutschland geliefert, die nur für Dumpfbacken ein hohes Niveau darstellen, und inszenatorische und schauspielerische Meisterleistungen wie „Scars Of Xavier“ werden im eigenen Land unbeachtet. Und somit komme ich auch schon zu Kai E. Bogatzki selbst, der mit seinem ersten Langfilm ein unglaublich beeindruckendes, perfekt in Szene gesetztes und äußerst bedrückendes Werk abgeliefert hat, dass mich gegen Ende hin sogar an visionäre Filme von Regisseuren wie David Lynch und Lars von Trier erinnert hat. Ich komme aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus, wenn ich an eine Szene, etwa in der Mitte des Films, denke, in der in einer Rückblende ein Mord „zelebriert“ wird. Eine solch blutige (im Grunde genommen abscheuliche) Szene derart künstlerisch zu inszenieren, dass sie Arte-gerecht wirkt, kann ich einfach nur als Genialität bezeichnen. Bogatzki hat ein cineastisches Auge, das vielen Mainstream-Regisseuren schlichtweg fehlt. Unter anderem bei dieser überwältigenden Szene kommt die perfekte Musikuntermalung von Klaus Pfreundner, die der „Schönheit“ jener Bilder noch zusätzlichen Ausdruck verleiht.
An dieser Stelle vielleicht auch noch ein ganz dickes Lob an die Jungs vom Sound: Thorsten Mies hat sich zusammen mit Robert Gondorf um den On-set Ton gekümmert, der ihnen wirklich gut gelungen ist. Robert Gondorf hat dann anschließend mit Robert Prus  das Sound Design gemacht.Philipp Kaase hat all dies im Studio zusammengemischt und auch beim Sound Design mitgemacht! Das Ergebnis kann sich absolut hören lassen.

Und am Ende, wenn der Zuschauer denkt, er hätte den brutalen und blutigen Weg des Xavier mitsamt seinen Opfern hinter sich gebracht, eröffnet Bogatzki noch eine weitere psychologische Tür, die einem den Atem raubt. Visuell überwältigend geht die Reise des Killers weiter, überschreitet Grenzen und macht letztendlich alles, was man gesehen hat, schlüssig.
Bogatzki, der Hauptdarsteller und das ganze Filmteam schockieren, verwirren, und berühren emotional. „Scars Of Xavier“ ist eine Achterbahnfahrt in die Psyche eines Mörders, aber auch in die kranke Welt eines von einem Kindheitstrauma geplagten Menschen, der im Grunde genommen bedauernswert ist. Die äußert real wirkenden Spezialeffekte (verantwortlich unter anderem Philipp Rathgeber) tun ihr übriges dazu, um diesen Film zu einem der schockierendsten, aber auch bemerkenswertesten Filme des deutschen Kinos der letzten Jahre zu machen.
Gerade in Zeiten von computeranimierten, seelenlosen Blockbustern zeigt Bogatzkis „Scars Of Xavier“ was Filmemachen wirklich heißt: Visionen nicht mit Millionen-Budget umsetzen zu können, Schauspiel und innovative, emotionale Ideen. Alle diese drei Dinge vereinen sich in „Scars Of Xavier“. Hinzu kommt noch eine grandiose Kameraführung und ein toller Score.
Danke an Kai E. Bogatzki nebst seinem kompletten Team und dem großartigen Hauptdarsteller Marc Engel, dass ich an diesem blutigen Albtraum teilhaben durfte, der authentischer nicht sein könnte und mich noch lange in meinen Gedanken begleiten wird. Begeisterter kann ich von einem Film fast nicht sein.
Wohlverdient heimst der Film auch gerade auf ausländischen Festivals eine Nominierung und Auszeichnung nach der anderen ein. Die nachfolgende Auflistung hat den Stand vom 12. Dezember 2017:

Gewinner (bisher):
„Best Thriller“ – Nightmares Film Festival
„Best Editing“ – FEARnyc
„Best Festure Film“ – DarkVeins Horror Fest
“Best Special Effects“ – DarkVeins Horror Fest
„Best Director“ – 13horror.com
„Special Mention“ – Optical Theatre Festival

Nominierungen (bisher):
„Best Cinematography“ – Nightmares Film Festival
„Best Feature Film“ – FEARnyc
„Best Actor“ – DarkVeins Horror Fest
„Best Score“ – DarkVeins Horror Fest
„Best Feature Film“ – Optical Theatre Festival
„Best Actor“ – Optical Theatre Festival
„Best Film“ – 13horror.com
„Best Actor“ – 13horror.com
„Best Actress“ – 13horror.com
„Best supporting Actress“ – 13horror.com

Official Selections:
FrightNights – Linz
SoIndependent Film Festival – Sofia

Wie gesagt: Wohlverdient! 😉

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Fazit: Brutal, blutig und schockierend. Psychogramm eines Serienkillers mit visionären  Bildern und brillanter, stylischer Umsetzung. Uneingeschränkt volle Punktzahl in jeder Hinsicht.

© 2017 Wolfgang Brunner

Durch die Nacht (2013 / 2017)

Originaltitel: Durch die Nacht
Regie: Marco Pfeiffer
Drehbuch: Marco Pfeiffer
Kamera: Mirko Prokic
Musik: Lino Jednat
Laufzeit: 7 Minuten (Langfassung: 14 Minuten)
Darsteller: Randi Rettel, Jessica Klauß, Jan-Erik-Hohl, Nicole Schreier,
Livia Schwarz, Ralf T. Hoffmann, Aaron Wassilew, Julia Alsheimer, Nina
Michnik, Sissy Chrysos, Gabriele Kriedemann
Genre: Drama
Produktionsland: Deutschland
FSK: nicht geprüft

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Marie will ihren Freund Ben mit einem schönen Essen verwöhnen. Doch der Abend verläuft leider nicht so, wie sich Marie das vorgestellt hat. Verzweifelt begibt sie sich auf einen Spaziergang durch die Nacht und erfährt durch einige Begegnungen, was Leben wirklich bedeutet.

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Das Drama „Durch die Nacht“ kann von der ersten Einstellung an begeistern und hinterlässt deutliche Spuren in den Gedanken des Zusehers. Regisseur Marco Pfeiffer, der auch das Drehbuch verfasste, gelingt es in etwas mehr als fünf Minuten, einen derart zu packen, dass es fast schon Angst macht. Eine anfangs ärgerliche, kurze Zeit später aber wieder befriedigende Alltagssituation gerät zu einem Alptraum, in den sich jeder durch die intensiven Bilder des Kurzfilms hineinversetzen kann. Mit einfachen Mitteln wird in wenigen Minuten eine Palette an Gefühlen behandelt, dass es einen beim ersten (und auch noch zweiten Ansehen) schlichtweg überfordert. Liebe, Verlust, Trauer, Angst, Mut, Verzweiflung und am Ende Hoffnung. All dies passiert mit der Protagonistin, die wir auf ihrem verzweifelten Gang durch die Nacht begleiten. Und wir fühlen mit ihr, spüren die Trauer und die Verzweiflung, erleben aber auch in geschickt inszenierten Bildern die Hoffnung, die durch die Begegnung mit Mitmenschen in ihr aufkeimt.

„Durch die Nacht“ ist ein emotionaler, tiefgehender Kurzfilm, der mit Emotionen spielt und sie selbst für diejenigen deutlich macht, die sich noch nie in solch einer (oder ähnlichen) Lage befanden. Marie wird hervorragend von Randi Rettel verkörpert, der man sämtliche Emotionen abnimmt. Ihr natürliches, ungezwungenes Schauspiel ist herrlich erfrischend und echt, so dass man gar nicht genug davon bekommen kann. Sie drückt die Hilflosigkeit, den Kummer und die Niedergeschlagenheit, durch die sie in eine Spirale der Selbstzerstörung gerät, so natürlich aus, dass es einem Angst einjagen kann. Marco Pfeiffers Film drückt im Gegenzug aber auch aus, dass junge Menschen sich nicht nur im negativen Sinne „gehen lassen“, sondern auch sehr wohl an eine glückliche Zukunft und ein erfülltes Familienleben glauben können.
Jan-Erik-Hohl als Ben kann, wenngleich er nicht allzu oft zu sehen ist, durch seine charismatische und sehr sympathische Ausstrahlung punkten und lässt selbst einen männlichen Zuschauer am Ende dahinschmelzen. 😉
Und Jessica Klauß als Mutter mit Kind, die für Marie die rettende Hand darstellt, kann auf sehr positive Weise in ihrer Rolle überzeugen. Die wunderschöne und überaus passende Musikuntermalung stammt von Lino Jednat, von dem man sich in Zukunft auf jeden Fall noch mehr Scores in dieser Art wünscht.

Von „Durch die Nacht“ existiert eine Kurz- und eine Langfassung, die man beide gesehen haben sollte. Ich habe zuerst die Kurzfassung aus dem Jahr 2013 angesehen und mir danach viele Gedanken über die Handlung gemacht. So ging es anscheinend mehreren Zuschauern, denn nach der ursprünglich abgedrehten Kurzfassung entschieden sich die Macher nachträglich im Jahr 2017 noch eine Langfassung herzustellen, die bedeutend mehr auf die Beziehung von Marie und Ben eingeht und auch einige offenstehende Fragen der Kurzfassung beantwortet. Mir persönlich hat es die längere Fassung angetan, weil sie noch bedeutend mehr Emotionen in mir ausgelöst hat als die originale Kurzfassung. Für mich ein sehr beeindruckendes Filmerlebnis, das erstaunlicherweise trotz seiner kurzen Laufzeit enorm viel Gefühle beim Zuschauer wachrüttelt.
Beide Fassungen kann man auf der Film-Homepage begutachten. Eine Facebook-Seite zum Film gibt es ebenfalls, die noch weitere und vor allem aktuelle Informationen bereithält.

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Fazit: Kurzfilm mit tollen Darstellern (Randi Rettel ist einfach ein Glücksgriff) und einer unglaublich emotionalen Wucht, die einen nachhaltig beschäftigt.

© 2017 Wolfgang Brunner

Passengers (2016)

Originaltitel: Passengers
Regie: Morten Tyldum
Drehbuch: Jon Spaihts
Kamera: Rodrigo Prieto
Musik: Thomas Newman
Laufzeit: 116 Minuten
Darsteller: Jennifer Lawrence, Chris Patt, Michael Sheen, Laurence Fishburne, Kimberly Battista, Aurora Perrineau, Andy García
Genre: Science Fiction
Produktionsland: Vereinigte Staaten
FSK: ab 12 Jahre

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5.000 Menschen machen sich im Tiefschlaf auf die Reise zum Planeten Homestead II, um dort ein neues Leben zu beginnen. Durch eine Fehlfunktion der Schlafkammer wacht einer der Passagiere, Jim, viel zu früh auf, nämlich neunzig Jahre vor der Landung auf Homestead II. Jim versucht den Grund seines vorzeitigen Erwachens herauszufinden und trifft schließlich auf Aurora, die ebenfalls erwacht ist. Sie fühlen sich sofort zueinander hingezogen und versuchen, aus ihrer Zukunft das beste zu machen. Doch dann erfahren sie, dass etwas mit dem Raumschiff, auf dem sie durchs All rasen, nicht stimmt.

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Schon nach wenigen Minuten wusste ich, dass „Passengers“ der richtige Film für mich ist. Ruhige Science Fiction ohne Weltraumschlachten und überzogene Bösewichte hat mich schon immer begeistert. Sicherlich mag ich auch actionlastige SF-Streifen a lá „Star Wars“ und Konsorten, aber stimmungsvolle Filme wie „Blade Runner“, „Arrival“ oder „Interstellar“ sind mir im Grunde genommen lieber. Die Eingangssequenz erinnert ein wenig an die Aufwachszene in „Alien“, was durchaus beabsichtigt und als Hommage gedacht sein könnte. Doch dann geht Regisseur Morten Tyldum einen anderen, bedeutend ruhigeren Weg. Melancholisch, philosophisch und enorm beeindruckend wird die Weite, Stille und Einsamkeit des Alls in Szene gesetzt. Man möchte trotz dieser Einsamkeit mit dabei sein. Bei manchen Szenen fühlte ich mich an John Carpenters Debütfilm „Dark Star“, „Gravity“ oder den einzigartigen Klassiker „Lautlos im Weltraum“ von Douglas Trumbull erinnert. Morten Tyldum schafft es einfach hervorragend, diese Leere zu inszenieren.

Die Liebesgeschichte zwischen Jim und Aurora wirkt lebendig und glaubwürdig. Zumindest anfangs. Es kommt nämlich ein Punkt, an dem Aurora etwas erfährt, dass sie besser nicht erfahren hätte, und die Liebesgeschichte gerät ins Schwanken und wirkt teilweise nicht mehr nachvollziehbar. Das würde ich, neben dem Finale, als einzige Drehbuchschwäche bezeichnen. Diese Problematik hätte man umgehen können beziehungsweise müssen. Aber sieht man über diesen „Fehler“ hinweg, wird man mit einem unglaublich optischen Abenteuer belohnt, dass einem (zumindest mir) nicht mehr aus dem Kopf geht. Visuell kann man solch ein einsames Weltraumabenteuer nicht besser machen.  Beeindruckende Spezialeffekte, die aber keineswegs die Aufmerksamkeit von den Schauspielern an sich reißen, ziehen sich durch den kompletten Film. Da gibt es wirklich nichts auszusetzen und die ein oder andere Szene versetzt einen derart in Erstaunen, dass einem die Luft wegbleibt.

Jennifer Lawrence und Chris Patt machen ihre Sache ausnahmslos gut. Es macht ungemein Spaß, sie bei ihrer zweisamen Reise durchs All zu begleiten. Michael Sheen, der schon den wirklich schlechten Nicolas Cage-Streifen „Drive Angry“ mit seiner Darstellung einigermaßen retten konnte, brilliert hier wieder einmal in einer absolut tollen Rolle. Er mimt den Serviceroboter hinter der Theke der Bordbar mit Witz und Charme. Sheen stellt neben den guten schauspielerischen Leistungen und  den grandiosen Effekten ein weiteres Highlight von „Passengers“ dar.
Toll fotografiert regt das Science Fiction-Epos oftmals auch zum Nachdenken an. Wie würde man sich selbst in solch einer Situation verhalten? Man mag von der Entwicklung der Handlung halten, was man will, aber die Pattsituation(en), in denen sich der Protagonist Jim befindet, sind nicht von der Hand zu weisen und beschäftigen den Zuseher.

Freunde von Weltraumschlachten werden „Passengers“ als seicht, langweilig und kitschig bezeichnen. Ich finde aber, dass auch solche Zukunftsvisionen eine große Berechtigung im SF-Bereich haben und haben sollten. Die Menschheit wird sich in Zukunft nicht nur Kriege gegen Außerirdische liefern, sondern sie wird auch auf der Suche nach einem neuen Lebensraum sein. Und die Menschen werden sich auch in Zukunft lieben und sich nach Wärme und Geborgenheit sehnen. Für mich war „Passengers“ trotz einiger Makel im Plot eine absolut erfreuliche Überraschung, so dass sich der Film eindeutig in der Liste meiner Lieblings-SF-Filme findet.

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Fazit: Visuell überwältigendes Science Fiction-Liebes-Drama mit leicht philosophischen Touch.

© 2017 Wolfgang Brunner

Liebe geht seltsame Wege (2014)

liebe

Originaltitel: Love Is Strange
Regie: Ira Sachs
Drehbuch: Ira Sachs
Kamera: Christos Voudouris
Musik: Frédéric Chopin
Laufzeit: 94 Minuten
Darsteller: John Lithgow, Alfred Molina, Marisa Tomei, Charlie Tahan, Cheyenne Jackson, Harriet Sansom Harris, Darren Burrows, Christian Coulson, Eric Tabach
Genre: Drama, Liebe
Produktionsland: Vereinigtes Königreich
FSK: ab 0 Jahre

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Nach fast 40 Jahren Zusammenleben heiraten George und Ben endlich. Doch George verliert aufgrund seiner sexuellen Neigung seinen Job als Musiklehrer und ohne sein Gehalt können sich die beiden frisch Vermählten die große Wohnung nicht mehr leisten. Als Übergangslösung wohnen sie getrennt voneinander bei Freunden und Verwandten, um eine Wohnung zu suchen, die sie sich leisten können.

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Es dauert eine Weile, bis sich die Intensität dieses Filmes im Zuschauer entfaltet. Zu oberflächlich wirkt das Ganze im ersten Moment, als dass man die Tragweite dieses außergewöhnlichen Liebesfilms sofort erkennen würde. „Liebe geht seltsame Wege“ ist ein Juwel in der Darstellung von Menschen und ihrem (Liebes-)leben.
Man erwartet einen Film über Homosexuelle und bekommt eine Darstellung verschiedener Liebesarten, die einen mitreißt, traurig und melancholisch macht. John Lithgow und Alfred Molina sind einfach umwerfend in ihrer Darstellung als älteres, schwules Paar. Man spürt die Liebe zueinander derart intensiv und das Schauspiel der beiden ist so grandios, dass man tatsächlich glaubt, ihre Liebe zueinander wäre echt. Das ist grandios und beeindruckend, mit welcher Selbstverständlichkeit das gemeinsame Leben zweier Homosexueller dargestellt wird (was es ja auch ist) und wie gefühlvoll das Ganze inszeniert wurde.
Vollkommen unaufdringlich wird von den Ängsten und Hoffnungen zweier Menschen erzählt, die fast ihr ganzes Leben miteinander verbracht haben und nun für eine Weile getrennt leben müssen. Die Integration in das „normale“ Leben eines heterosexuellen Paars zeigt hervorragend, dass es in jeder Beziehung gleich läuft. Ob Mann mit Mann, Frau mit Frau oder Mann mit Frau – Liebe ist ganz einfach Liebe. Das will Regisseur Ira Sachs sagen und er sagt es auf eine ganz eindrucksvolle und vor allem hintergründige Weise.

„Liebe geht seltsame Wege“ ist ein extrem ruhiger, und daher sehr berührender, Film, der von klassischer Musik untermalt wird, die zu Herzen geht.  Regisseur Ira Sachs und die beiden Hauptdarsteller Lithgow und Molina zeigen ganz großes Kino zum Nachdenken und Mitfühlen. Fernab von Kitsch und unnötiger Melodramatik setzt uns Sachs einen Spiegel vor, in dem wir uns oft selbst erkennen, wenn es um die Liebe geht. Da werden Ungerechtigkeiten hingenommen, ohne persönliche Rachefeldzüge zu unternehmen, weil das Leben eben weitergeht und weitergehen muss. Die beiden Homosexuellen haben ihre Leben oft mehr im Griff als die Heterosexuellen. Und dennoch sind alle Menschen in ihren Gefühlen und Ängsten gleich.

Ira Sachs hat einen wunderbaren Film erschaffen, der außerordentlich menschlich ist und daher einen Oscar verdient hätte. In Gedanken verbeuge ich mich vor dieser Leistung ebenso wie vor den hohen Schauspielkünsten John Lithgows und Alfred Molinas. „Liebe geht seltsame Wege“ ist beeindruckend, traurig und hoffnungsvoll. Ein Film, der das Mainstream-Publikum und Menschen, die sich ihrer Liebe nicht stellen (können), zu Tode langweilen wird. Alle anderen, aufmerksamen Zuseher, werden mit einem sensiblen Porträt einer Liebe fürs ganze Leben belohnt. Ich bin nachhaltig begeistert.

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Fazit: Wunderschöner, sensibler und melancholischer Film über die Liebe zwischen Hetero- und Homosexuellen. Kein Schwulenfilm sondern ein Plädoyer für die Liebe zwischen zwei Menschen. Einfach großartig!

© 2016 Wolfgang Brunner

Der Geschmack von Rost und Knochen (2012)

Der_Geschmack_von_Rost_und_Knochen

Originaltitel: De rouille et d’os
Regie: Jacques Audiard
Drehbuch: Jacques Audiard, Thomas Bidegain
Kamera: Stéphane Fontaine
Musik: Alexandre Desplat
Laufzeit: 122 Minuten
Darsteller: Marion Cotillard, Matthias Schoenaerts, Bouli Lanners, Corinne Masiero, Armand Verdure, Céline Sallette, Mourad Frarema, Yannick Choirat
Genre: Drama
Produktionsland: Frankreich, Belgien
Freigabe: ab 12 Jahren

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Stéphanie trainiert Wale und lernt eines Tages Ali in einem Nachtclub kennen, wo er als Sicherheitsmann arbeitet. Wenige Tage später endet ein Arbeitstag von Stéphanie in einer Katastrophe und als sich die beiden wieder treffen, ist die einst selbstbewusste Frau verschwunden. Ali will Stéphanie helfen und bald schon verlieben sie sich ineinander. Doch das Leben ist nicht so einfach …

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Ich wurde durch eine Trailer-Vorschau auf diesen Film aufmerksam und hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Die Szenen im Trailer machten mich neugierig und so besorgte ich mir die BluRay. Was ich dann zu sehen bekam, verschlug mir teilweise schlichtweg den Atem. In wunderschönen, aber auch grausam schrecklichen Bildern wird hier von einer Liebe erzählt, die berührt. Aber nicht nur von der Liebe berichtet Regisseur Jacques Audiard, sondern auch vom Leben und wie man es meistert beziehungsweise manchmal meistern muss.

Die Geschichte wirkt so echt und ehrlich, als hätte das wahre Leben sie geschrieben. Die Beziehungsprobleme, die Existenzängste und die immer wieder auftauchenden Hoffnungsschimmer – das ist wirklich unglaublich authentisch und berührend. Audiard inszenierte eine bewegende Lebens- und Liebesgeschichte, die nicht nur durch ihre bestechende Bilderflut, sondern auch mit zwei hervorragenden Hauptdarstellern auftrumpft, denen man jede Handlung ohne Einschränkungen abnimmt. Es ist wirklich erstaunlich, wie grandios der Regisseur die Gratwanderung zwischen traumhaften Bildkompositionen und dreckigem Alltagsgrauen meistert.
Die Liebesszenen zwischen den beiden sind großartig in Szene gesetzt und die Spezialeffekte, um Stéphanies Beine „verschwinden“ zu lassen, sind einfach nur der Hammer.
Beide Darsteller spielen sich in die Herzen der Zuschauer, obwohl sie sich auch manchmal alles andere als liebenswert verhalten. Vor allem Matthias Schoenaerts Darstellung eines manchmal gefühlvollen und manchmal egoistischen Machos ist der Hammer.

Immer wieder wechseln sich zum Träumen schöne Liebesszenen mit ernüchternden Alltagssituationen ab, die einem aber ebenfalls Tränen in die Augen treiben, wenngleich aus anderen Gründen. Audiards Ausflug in die Abgründe menschlicher Fehlverhalten und der verzweifelten Suche nach wahrer Liebe ist alles andere als massentauglich inszeniert und kann daher wohl viele Zuschauer nicht wirklich überzeugen. Wer sich aber auf den vermeintlich „kalten“ Inszenierungsstil einlässt, wird mit einer Wucht von Film belohnt, die mich an Lars von Triers „Breaking The Waves“ erinnert. Alexandre Desplats meisterliche Filmmusik tut noch ein übriges dazu, um „Der Geschmack von Rost und Knochen“ zu einem unvergesslichen Filmerlebnis zu machen, das noch lange nach dem Ansehen anhält.
Es schmerzt fast, das ungleiche Paar am Ende verlassen zu müssen …

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Fazit: Geniales Kino, das emotional aufwühlt und bewegt. Darstellerisch atemberaubend und mit wunderbaren Bildkompositionen ist „Der Geschmack von Rost und Knochen“ ein Filmjuwel aus Europa.

© 2015 Wolfgang Brunner

Die Frau des Zeitreisenden (2009)

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Originaltitel: The Time Traveller’s Wife
Regie: Robert Schwentke
Drehbuch: Bruce Joel Rubin, Jeremy Leven
nach dem Roman von Audrey Niffenegger
Kamera: Florian Ballhaus
Musik: Mychael Danna
Laufzeit: 108 Minuten
Darsteller: Eric Bana, Rachel McAdams, Ron Livingston, Jane McLean, Michelle Nolden, Arliss Howard, Stephen Tobolowsky, Alex FerrisBrooklynn Proulx
Genre: Liebe, Literatur, Science Fiction
Produktionsland: Vereinigte Staaten
FSK: ab 12 Jahre

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Henry ist Zeitreisender und trifft immer wieder auf Clare, die zur Liebe seines Lebens wird. Er kommt aus der Zukunft, er kommt aus der Vergangenheit und bleibt manchmal in der Gegenwart. Für Clare und Henry wird die Liebe zu einer harten Probe …

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Audrey Niffeneggers Debütroman faszinierte mich von der ersten bis zur letzten Seite (Hier kann man meine Rezension zum Buch auf „Buchwelten“ nachlesen —> KLICK MICH). Umso gespannter war ich, wie die Zeitreise-Liebesgeschichte als Film umgesetzt wurde. Ich konnte mir gar nicht so richtig vorstellen, dass man die Sprünge durch die Zeit so inszenieren könnte, um den Zuschauer nicht zu verwirren. Aber, was soll ich sagen: Dem deutschen Regisseur Robert Schwentke (der den meisten wohl mit seiner deutschen Produktion „Tattoo“ und seinen darauf folgenden, in den USA produzierten Filmen „Flightplan“, „R.E.D“, „R.I.P.D“ und „Insurgent – Die Bestimmung“ bekannt sein dürfte) ist es erstaunlicherweise gelungen, das Ganze unkompliziert und veständlich in Szene zu setzen.
Wie schon im Buch gibt es unzählige Logikfehler, die das Filmvergnügen aber in absolut keiner Weise schmälern. Eric Bana ist genauso ein Glücksgriff in der Besetzung wie Rachel McAdams. Die beiden agieren hervorragend und vermitteln dem Liebespaar eine Authenzitität, dass es eine wahre Freude ist.

Unspektakulär werden die Zeitsprünge einfach nur dargestellt, in dem die Person aus dem Bild „ausradiert“ wird, einfach verschwindet. Schwentke legt keinen allzu großen Wert auf Spezialeffekte und serviert dadurch einen erfrischend natürlichen Film, der Wert auf die Schauspieler und die (wenngleich auch unlogische) Geschichte legt. Ich weiß nicht, wie der Film auf jemanden wirkt, der die Romanvorlage nicht kennt. Für mich war die Umsetzung sehr detailverliebt und, bis auf wenige filmdramaturgisch bedingte Ausnahmen, ziemlich eng an die Vorlage gelehnt. Die diversen Zeitsprünge waren überhaupt nicht verwirrend und man konnte der Handlung ohne Probleme folgen. Die Liebesgeschichte mit leichten Science Fiction-Elementen ist nicht nur etwas für Frauen, sondern kann mühelos auch Männer begeistern. Die Konflikte des Liebespaars, die durch die Zeitsprünge immer wieder entstehen, werden sehr glaubhaft dargestellt und an einigen Stellen habe ich dann schon auch ein Tränchen vergossen.

Gerade zum Ende entwickelt sich die Geschichte zu einer philosophischen Auseinandersetzung um den Sinn des Lebens. Beeindruckend und kitschig im positiven Sinne, ohne eigentlich wirklich kitschig zu sein, hinterlässt „Die Frau des Zeitreisenden“ ein gemischtes Gefühl aus Glück und Trauer. Ich bin sicher, dass sich der Film um einiges besser im Kopfkino des Zuschauers entfaltet, wenn man vorher das Buch gelesen hat.
Robert Schwentke ist ein spannendes, gefühlvolles und dramatisches Liebesabenteuer gelungen, das zum Nachdenken über das eigene Leben (und die Liebe) anregt.
Unbedingt erwähnenswert ist auch die hervorragende, melancholische Musik von Mychael Danna, die die wunderschön inszenierten Bilder perfekt untermalt und ergänzt. Niffeneggers Geschichte um eine äußerst außergewöhnliche Liebe wurde würdig umgesetzt.

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Fazit: Spannend, gefühlvoll und dramatisch inszenierte der deutsche Regisseur Robert Schwentke den Erfolgsroman von Audrey Niffenegger mit absolut tollen Hauptdarstellern.

© 2015 Wolfgang Brunner

Liebe (2014)

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Originaltitel: Liebe
Regie: Kai E. Bogatzki
Drehbuch: Kai E. Bogatzki
Kamera: Lucas Blank
Musik: René Bidmon
Laufzeit: 15 Minuten
Darsteller: Isabelle Aring, Nikolai Will
Genre: Drama
Produktionsland: Deutschland
Freigabe: —

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Nach einem Unfall findet das Glück des Ehepaars Christian und Sylvia ein abruptes Ende: Sylvia sitzt querschnittsgelähmt im Rollstuhl und Christian versucht mit allen Mitteln, seiner großen Liebe das Leben zu verschönern. Aber die Aufgabe zehrt an seinen Nerven und er beginnt zu trinken. Immer öfter kommt es zu Streitereien, bis eine dieser Auseinandersetzungen eskaliert. Aber Christian gibt nicht auf, die Liebe zu Sylvia aufrechtzuerhalten.

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„In guten wie in schlechten Zeiten“, heißt es bei der Eheschließung. Dieser Thematik nimmt sich Regisseur Bogatzki in seinem Kurzfilm „Liebe“ an und zeigt, an welche Grenzen ein Paar stößt, wenn das Glück von einer Sekunde auf die andere zerstört und die Beziehung auf die Probe gestellt wird. Auf sehr hohem Niveau schildert Bogatzki das Leben der beiden und zeigt, dass er das Regiehandwerk vorzüglich beherrscht. Lucas Blanks Kameraarbeit ist ebenfalls beachtlich, wenn er Mann und Frau durch die Wohnung und bei ihrem Alltag begleitet. René Bidmons Score ist der Hammer und untermalt das elegisch-melancholische Drama hervorragend. Das Zusammenspiel von Regisseur, Kameramann, Filmmusik-Komponist und den beiden Darstellern könnte besser nicht sein. Und obwohl im Film sehr viele (geniale) Schnitte sind, wirkt er immer ruhig und niemals hektisch.
Manchmal ähnelt das Szenario Michael Hanekes gleichnamigem Film aus dem Jahr 2012 („Liebe“), aber Bogatzki geht einen eigenen Weg, der an die Grenze des subtilen Horrors gelangt, sie aber im Grunde genommen eigentlich gar nicht überschreitet. Oder doch? Es ist eine Gratwanderung, die Bogatzki da begeht. Und er meistert sie grandios, wickelt den Zuschauer in ein Psychonetz ein, aus dem es kein Entkommen mehr gibt. Obwohl der Film nur eine Viertelstunde dauert, beinhaltet er eine beeindruckende und tiefgreifende Geschichte.

Nikolai Will verleiht seiner Rolle einen unglaublich dichten und authentischen Charakter. Liebevoller Ehemann, naiv verspielt kindlicher Pfleger oder streitlustiger Alkoholiker. Egal, was dieser Mann darstellt, er macht es einfach gut. Und wenn es, wie in diesem Fall, fast schon eine Art Kammerspiel ist, in der nur zwei Charaktere eine tragende Rolle spielen, dann blüht Will auf. Aber auch Isabelle Aring gibt eine gute Figur ab, obwohl sie nur selten zu sehen ist. Wahrscheinlich aber beeindruckt gerade die Bewegungslosigkeit und das Nichtagieren, das manches Mal an eine Puppe erinnert, unterbewusst den Zuschauer. Bogatzkis Reise in einen menschlichen Abgrund fesselt und verstört zu gleichen Teilen. Durch die grandiose Schauspielerleistung Nikolai Wills und den unglaublich gefühlvollen Soundtrack René Bidmons wird man von der ersten Minute an in eine eigenwillige Stimmung gerissen, die aus melancholischer Nostalgie und erschreckender Alptraum-Realität besteht. Man wird Voyeur und leidet sowohl mit dem Mann als auch der Frau.
Man möchte gerne wissen, was Bogatzki uns mit seiner traurigen Geschichte erzählen will und wird plötzlich aus seiner eigenen Lethargie, die der der Protagonisten gleicht, mit einem schockierenden Aha-Erlebnis herausgerissen. Im letzten Drittel wird „Liebe“ zu einem Schocker, der einen wirklich trifft und sprachlos macht. Und dennoch vermittelt dieses Ende erstaunlicherweise etwas melancholisch Verzweifeltes, das irgendwie eine unglaublich große Liebe darstellt. Wenn der Film zu Ende ist, bleibt Nachdenklichkeit und Traurigkeit zurück. Und die Erinnerung an einen unglaublich gut inszenierten Kurzfilm mit einem hervorragenden Hauptdarsteller und einer grandiosen Musik.

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Fazit: Intensiv, melancholisch, traurig und am Ende schockierend. Grandiose Schauspielerleistung von Nikolai Will, hammermäßige Musik von René Bidmon und erstklassige Regiearbeit. Den Namen Kai E. Bogatzki sollte man sich merken. Ich tue es auf jeden Fall. 🙂

© 2015 Wolfgang Brunner