Blue Ruin (2013)

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Originaltitel: Blue Ruin
Regie: Jeremy Saulnier
Drehbuch: Jeremy Saulnier
Kamera: Jeremy Saulnier
Musik: Brooke Blair, Will Blair
Laufzeit: 94 Minuten
Darsteller: Macon Blair, Devin Ratray, Amy Hargreaves. Kevin Kolack, Eve Plumb, David W. Thompson, Brent Werzner
Genre: Drama, Thriller,
Produktionsland: Vereinigte Staaten
FSK: ab 16 Jahre

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Als Dwight Evans erfährt, dass der Mörder seiner Eltern wieder auf freiem Fuß ist, macht er sich kurzerhand auf den Weg, um sich an dem Täter zu rächen. Doch so einfach, wie Dwight sich das gedacht hat, ist es leider nicht …

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„Blue Ruin“ ist verstörend, erschreckend, melancholisch und unglaublich spannend. Macon Blair in der Hauptrolle schlägt den Zuschauer von der ersten Minute an in seinen Bann und läßt ihn 90 Minuten lang nicht mehr los. Jeremy Saulnier hat nach seinem zwar ganz netten, aber eher doch schwachen Debüt „Murder Party“, einen Rachethriller abgeliefert, der es in sich hat. Tatsächlich fühlt man sich manchmal an Filme von Quentin Tarantino oder den Coen-Brüder erinnert, aber Saulnier macht es meiner Meinung nach sogar noch besser.

Die Art der Inszenierung, die im Grunde genommen sehr ruhig ist, baut eine unglaubliche Spannung auf. Die blutigen Gewaltdarstellungen lassen sich zwar an einer Hand abzählen, sind aber dermaßen zielsicher und schockierend überraschend eingesetzt, dass es einem den Atem verschlägt. „Blue Ruin“ hat sich für mich einen festen Platz in der Riege so genialer Ausnahmefilme wie „To Kill A Man“, „Child Of God“ oder „The Rover“ erobert.
Macon Blair spielt grandios einen verzweifelten Mann, der den Mord an seinen Eltern rächen will und Selbstjustiz ausübt. Seine darstellerische Leistung kombiniert mit der hervorragenden Regie ergibt ein Independent-Meisterwerk, das sich hinter Großproduktionen nicht nur nicht verstecken muss, sondern besser als so mancher teure Blockbuster ist. Komischerweise ist seine darstellerische Leistung als Bartträger weitaus beeindruckender als mit glattem Gesicht, wo die Mimik nicht mehr die gleiche Intensität hat.
Düster und ausweglos wird der Spannungsbogen immer weiter in die Höhe geschraubt, bis er in einem blutigen Finale endet.

Wer sich Gedanken über den Titel machen sollte: Dwaight macht sich in seinem alten Wagen, das fast schon ein Wrack ist, auf den Weg, den Mörder seiner Eltern zu rächen. Mit „Blue Ruin“ (Blaue Ruine) ist also der blaue Schrottwagen des Protagonisten gemeint. 😉

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Fazit: Unglaublich intensiv von Macon Blair gespielter Selbstjustiz-Thriller, der den blutigen Rachefeldzug eines verzweifelten Mannes schildert. Regisseur Jeremy Saulnier sollte man sich merken.

© 2015 Wolfgang Brunner

The Drop – Bargeld (2014)

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Originaltitel: The Drop
Regie: Michaël R. Roskam
Drehbuch: Dennis Lehane
Kamera: Nicolas Karakatsanis
Musik: Marco Beltrami
Laufzeit: 106 Minuten
Darsteller: Tom Hardy, Noomi Rapace, James Gandolfini, Matthias Schoenaerts, John Ortiz, Elizabeth Rodriguez, Michael Aronov, Morgan Spector
Genre: Krimi, Thriller, Drama
Produktionsland: vereinigte Staaten
FSK: ab 12 Jahre

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Bob Saginowski arbeitet in der Bar seines Cousins Marv. Hin und wieder werden solche Kneipen von der tschechischen Mafia als sogenannte „Money Drops“ benutzt, um schmutziges Geld zu deponieren. Eines Tages trifft es Marvs Bar, was an sich nicht weiter schlimm wäre. Doch am Ende des Abends wird die Bar überfallen und das deponierte Geld gestohlen. Bob und Marv finden sich plötzlich im Kreuzfeuer der Mafia, die das gestohlene Geld von ihnen zurückfordert.

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Dennis Lehanes Art, Geschichten zu erzählen, ist unglaublich intensiv. Das hat er schon mit „Shutter Island“, „Mystic River“ und „Gone Baby Gone“ eindrucksvoll bewiesen. „The Drop“ ist nun ein weiterer genialer Wurf, der diesen Weg auf gleichem Niveau fortsetzt. Dass in diesem Falle aber Lehane selbst das Drehbuch nach seiner eigenen Kurzgeschichte verfasst hat, ist ein absoluter Glücksgriff. In einer für Krimis und Thriller völlig untypischen Art wird die Geschichte vollkommen ruhig in Szene gesetzt und zeigt dadurch weitaus mehr Spannungspotential als eine actionreichere Inszenierung. Die ruhigen, menschlichen Zwischentöne und die unspektakuläre Erzählweise machen „The Drop“ zu einem Ausnahme-Thriller.

Michaël R. Roskam schafft eine unglaubliche Atmosphäre in seinem zweiten Langfilm, an die man sich noch lange erinnert. Tragende Rollen dabei haben sicherlich die beiden charismatischen Hauptdarsteller inne, die jeweils eine hervorragende Charakterzeichnung der Figuren, die sie spielen, abliefern und sichtlich Freude an ihrem Agieren haben. Tom Hardys treuherzige Dackelblicke, die sich im genau richtigen Moment in einen kaltblütigen Killerausdruck verwandeln, sind faszinierend. Ebenso brilliert aber auch James Gandolfini in seiner letzten Rolle und versprüht Charme und Gerissenheit in gleichem Maße. Das macht einfach Spaß, den beiden zuzusehen.

Die verzwickte Handlung steigert sich in einem stetig wachsenden Spannungsbogen, obwohl -wie oben bereits erwähnt- der Actionanteil bis aufs Äußerste minimiert ist. Aber vielleicht ist es genau das, was „The Drop“ zu einem besonderen Film macht, der seine Spannung nicht aus explodierenden Gebäuden und Autos zieht, sondern eher in einer unterschwelligen Bedrohung, die die beiden Protagonisten exzellent mit ihrem Spiel einfangen und den Zuschauer damit hypnotisieren.

„The Drop“ könnte tatsächlich einer meiner Lieblings-Thriller werden, denn die ruhige Erzählweise des Regisseurs, die im Nachhinein sogar oftmals melancholisch wirkt,  erinnert stark an die  Verfilmung der Lehane Stoffe „Mystic River“ durch Clint Eastwood und „Gone Baby Gone“ von Ben Affleck. Der Unterschied liegt aber in den Darstellern, die bei „The Drop“ einfach umwerfend sind.

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Fazit: Inszenatorischer Ausnahme-Thriller, der sehr ruhig eine Geschichte erzählt, die dennoch absolut spannend ist. James Gandolfini glänzt in seiner letzten Rolle neben Tom Hardy und stimmt einen dadurch umso trauriger, dass der charismatische Schauspieler so früh die (Film-)Welt verlassen hat.

© 2015 Wolfgang Brunner

Enemy (2013)

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Originaltitel: Enemy
Regie: Denis Villeneuve
Drehbuch: Javier Gullón
nach dem Roman von  José Saramago
Kamera: Nicolas Bolduc
Musik: Daniel Bensi, Saunder Jurriaans
Laufzeit: 109 Minuten
Darsteller: Jake Gyllenhaal, Mélanie Laurent, Isabella Rossellini, Sarah Gadon, Joshua Peace, Tim Post, Kedar Brown
Genre: Thriller, Literatur
Produktionsland: Spanien, Kanada
FSK: ab 12 Jahren

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Adam ist verzweifelt und gelangweilt von seinem Alltag als Professor für Geschichte und seiner Beziehung zu Mary. Eines Abends entdeckt er in einem Independence-Film den Schauspieler Anthony Claire, der Adam vom Aussehen bis hin zur Stimme vollkommen gleicht. Neugierig geworden, versucht Adam mit seinem Doppelgänger Kontakt aufzunehmen. Als ihm dies auch gelingt, steigert sich das Interesse an seinem Double zu einer gefährlichen Bessesenheit, der sich Adam bald nicht mehr entziehen kann …

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Denis Villeneuves Interpretation von  José Saramagos Roman „Der Doppelgänger“ hat es in sich. Visionär, geschickt und herrlich verworren wird hier der Kampf eines Mannes gegen sich selbst geschildert. Zur Regie kommt noch die schon fast oscarreife Schauspielleistung von Jake Gyllenhaal hinzu. Der Amerikaner geht in seiner Rolle völlig auf und liefert hier seine, meiner Meinung nach, beste Performance neben „Brokeback Mountain“ ab. Das Psychospiel der beiden Doppelgänger ist höchst faszinierend und alles andere als langweilig, wie viele Zuseher bemängeln. Sicher, wer hier Action und Mainstream-Popcorn-Kino erwartet, bekommt wahrscheinlich schon nach den ersten Minuten einen „Kulturschock“, weil er vergeblich nach Special-Effects und einer bereits auf den ersten Blick nachvollziehbaren, logischen Handlung sucht. „Enemy“ ist eine raffinierte Mischung aus David Cronenberg, David Lynch und Nicholas Roeg. Ruhig wird der Zuseher in einen Sog gerissen, den weder er noch der  Protagonist so richtig verstehen, dem man sich aber schwer entziehen kann.

Gyllenhaals Darstellung ist es zu verdanken, dass „Enemy“ nicht in einen unglaubwürdigen Plot abgleitet, sondern den Zuschauer auf fast schon unheimliche Weise anspricht. Wenn man genau hinsieht, erkennt man sich in einigen Dingen vielleicht sogar selbst wieder. Villeneuves Film ist eine Metapher für die Unsicherheit vieler Menschen, die mit der Realität nicht klarkommen und Auswege in Form eines Alter Ego suchen. „Enemy“ ist ein nachhaltiges Erlebnis voller schauspielerischem Können, inszenatorischer Raffinesse und einem Plot, der in bester Lynch-Manier Platz für Unmengen an Interpretationen zulässt. Edelkino zum Nachdenken mit einem fantastischen Blick ins Seelenleben eines Menschen, der auf der Suche nach seinem ganz eigenen Sinn des Lebens ist.

Viele finden das Ende nicht gelungen, ich hingegen bin echt begeistert. Auch wenn es vielleicht im ersten Moment etwas unbefriedigend und verwirrend wirkt, so entfaltete es nach einer Zeit eine unglaubliche Stimmung in mir, die ich nicht näher erklären kann. „Enemy“ ist ein enorm ausdrucksstarkes Filmabenteuer.

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Fazit: Nachhaltiges Erlebnis, das voller schauspielerischem Können und inszenatorischen Raffinessen steckt. Der Plot lässt unglaublich viele Interpretationen zu, so dass „Enemy“ für den durchschnittlichen Mainstream-Kinogänger eher langweilig und unverständlich wirkt. Der aufmerksame Zuschauer wird diese Reise in eine gebrochene Seele allerdings von Anfang bis Ende genießen.

© 2015 Wolfgang Brunner

Child Of God (2013)

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Originaltitel: Child Of God
Regie: James Franco
Drehbuch: James Franco, Vince Jolivette
Kamera: Christina Voros
Musik: Aaron Embry
Laufzeit: 104 Minuten
Darsteller: Scott Haze, Tim Blake Neslon, James Franco, Jim Parrack, Jeremy Ambler, Fallon Godson, Vince Jolivette
Genre: Thriller, Drama
Produktionsland: Vereinigte Staaten
FSK: ab 18 Jahren

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Lester Ballard ist ein Außenseiter par excellence. Seine Eltern hat er verloren und lebt, von der Gesellschaft verstoßen, zuerst in einem verlassenen Schuppen und später in einer Höhle. Und dann geschehen Morde in der Umgebung und es dauert nicht lange, bis die Bevölkerung Lester verdächtigt und Jagd auf ihn macht.

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Es gibt immer wieder Filme, die verschlagen einem den Atem. Zumal man wirklich nicht damit rechnet, was einem da geboten wird. „Child Of God“ ist verstörend! Verstörend erschreckend, aber auch verstörend gut. Sogar wahnsinnig gut! Scott Haze hätte für diese Darstellung zweifelsohne einen Oscar verdient. Selten sieht man so eine eindrucksvolle Performance, die einen förmlich vom Hocker reißt. Haze spielt den verrückten, verdreckten, abartigen und doch auf gewisse Art und Weise irgendwie liebenswerten Lester so grandios, das einem echt die Worte fehlen. Da läuft Rotz aus der Nase, da rinnt Speichel in den verwahrlosten Bart und Scott Haze spielt weiter, als wären das die natürlichsten Dinge im Leben. Alleine schon wegen Haze’s Schauspielerei sollte man „Child Of God“ gesehen haben.

Aber vor dem Film muss auch eindeutig gewarnt werden, denn da werden Dinge gezeigt, die mit Sicherheit nicht jedermanns Sache sind. Die FSK 18 – Einstufung ist bei diesem Film gerechtfertigt, denn hier werden nicht mutierte Zombies zerhackt, sondern dem Zuschauer wird ein perverses, grausiges Bild einer deprimierenden Realität präsentiert, das schockt. Die Bilder und gezeigten Ereignisse treffen  einen wirklich hart und hinterlassen (ähnlich wie im unterschätzten deutschen Thriller „Cannibal – Aus dem Tagebuch eines Kannibalen“ von Marian Dora) ein mulmiges Gefühl, das man lange nicht mehr los wird. „Child Of God“ basiert auf einer Romanvorlage von Cormac McCarthy, die ebenso befremdlich und schockierend ist, wie James Francos Verfilmung.

Die Stimmung des Films ist hervorragend gelungen und durch den fantastischen Hauptdarsteller wird man in eine archaische Welt aus Schmutz, Sex, Leichenschändung und düsterer Gewalt geworfen, der man sich schwerlich entziehen kann.

Ein Film, der mit Sicherheit nicht für den alltäglichen Kinogänger geeignet ist. Wer sich aber auf eine gewalterfüllte, dennoch dezent inszenierte und bisweilen melancholische Darstellung eines psychisch kranken Außenseiter-Lebens einlassen möchte, wird begeistert sein. In seiner düsteren, abseits des Mainstream gedrehten und unspektakulären Gewaltdarstellung, die wahrscheinlich aus genau diesem Grund so schockierend wirkt, erinnert mich „Child Of God“ an zwei frühere Filme von Michael Haneke („Funny Games“ und „Bennys Video“).

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Fazit: Abseits des Mainstream inszenierte James Franco ein eindringliches, brutales und schockierendes Bild einer verlorenen Existenz, die, so brutal sie auch vorgeht, das Mitleid des Zuschauers erregt. Scott Hazes Darstellung des Außenseiters Lester Ballard ist oscarreif.

© 2015 Wolfgang Brunner

The Rover (2014)

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Originaltitel: The Rover
Regie: David Michôd
Drehbuch: David Michôd
Kamera: Natasha Braier
Musik: Antony Partos
Laufzeit: 102 Minuten
Darsteller: Guy Pearce, Robert Pattinson, Scoot McNairy, David Field, Anthony Hayes, Gillian Jones, Susan Prior
Genre: Thriller, Drama
Produktionsland: Australien
FSK: ab 16 Jahren

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Das weltweite Wirtschaftssystem ist zusammengebrochen. Gesetze und Gesellschaft, so wie wir sie kennen, verschwinden und jeder denkt nur noch ans eigene Überleben. In dieser Zeit stiehlt eine kriminelle Gang den letzten Besitz des ehemaligen Farmers Eric: sein Auto, einen Rover.
Zusammen mit dem leicht zurückgebliebenen Rey, ein Bruder eines der Diebe, beginnt Eric die Verbrecher zu jagen. Denn er will seinen Rover wieder zurückhaben, egal zu welchem Preis.

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Ich muss gestehen, dass mich der Film voll erwischt hat. Ich hatte mir sicherlich einen enorm guten Endzeit-Thriller vorgestellt, aber was ich dann zu sehen bekam, riss mich, ehrlich gesagt, nahezu vom Hocker.
Das beginnt schon bei dem wahnsinnig guten Schauspielerleistungen, die Guy Pearce und Robert Pattinson da hinlegen. Da bleibt einem schon alleine beim Agieren der beiden der Atem stehen, so intensiv und realitätsnah schauspielern sie. Guy Pearce habe ich selten so gut und emotional (und dennoch kaltblütig) erlebt. Es ist eine wahre Freude, ihm bei der Jagd nach seinem geliebten Rover zuzusehen. Und Pattinson, der mich schon in David Cronenbergs „Cosmopolis“ begeistert hat, legt hier noch einen drauf, auch wenn man das irgendwie erst einen Tag später realisiert. 😉

David Michôd hat eindeutig das Zeug, zu einem Kultregisseur zu werden. Seine eigenwillige Inszenierung, die meist außergewöhnlich ruhig und minimalistisch daherkommt, wird von überraschenden und schockierenden Einwürfen unterbrochen, die wie ein brutaler Schlag in die Magengrube wirken. Da bleibt einem bei einzelnen Szenen schlicht die Luft weg und ein Gedankenblitz in der Art wie „Was war das denn jetzt?“ durchzuckt einen.
Ein Hauch David Lynch, eine Prise Quention Tarantino und ein Großteil eigener Kreativität zeichnen diesen außergewöhnlichen Film aus.

„The Rover“ plätschert die meiste Zeit dahin, als handle es sich um eine enorm ruhige Geschichte, und dennoch brennt sich der Plot durch seine fast schon visionäre Machart ins Gedächtnis ein wie selten ein Film. Ein Vergleich mit „The Road“ drängt sich auf und trifft die Atmosphäre noch am ehesten, aber auch diese Parallele hinkt irgendwie, denn „The Rover“ ist viel zu eigenständig, um mit einem anderen Film verglichen werden zu können. Pearce und Pattinson legen zusammen mit Regisseur Michôd ein Meisterwerk vor, das man meiner Meinung nach gesehen haben muss.

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Fazit: Minimalistisch und auf unheimliche Weise eindrucksvoll wird in „The Rover“ ein Rachefeldzug erzählt, der ohne Spezialeffekte auskommt, dafür aber mit fast schon oskarreifen Schauspielerleistungen aufwarten kann. Für Freunde des außergewöhnlichen Films ohne Zweifel ein Muss.

© 2015 Wolfgang Brunner

Tyrannosaur – Eine Liebesgeschichte (2010)

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Originaltitel: Tyrannosaur

Laufzeit: 93 Minuten

Regie: Paddy Considine

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Joseph ist ein jähzorniger, verwitweter Einzelgänger, der sich als einsamer Trinker in Jogginghose durch sein tristes Leben schlägt (im wahrsten Sinne des Wortes) und an seiner Umwelt verzweifelt. Gewalt ist sein ständiger Begleiter und die täglichen Streitereien mit seinen Nachbarn und anderen Mitmenschen sein Alltag.
In einer besonders schlimmen Situation versteckt er sich weinend im Second Hand-Laden der verheirateten Hannah, die ihn tröstet und für ihn betet.
Auch wenn Joseph nicht wahrhaben will, dass er sich in die feinfühlige Frau verliebt hat, kann er sich dem Sog nicht entziehen, der sich schleichend von Freundschaft in Zuneigung verwandelt.
Doch als sich ihre Beziehung stärkt, muss Joseph feststellen, dass auch Hannah -ebenso wie er- ein dunkles Geheimnis in sich birgt, das anscheinend für beide eine düstere Zukunft bereithält.

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Es passiert nicht alle Tage, dass man einen Film zu sehen bekommt, der einem regelrecht den Atem verschlägt. „Tyrannosaur“ ist so einer!
Die schreckliche Geschichte, die Considine in seinem Debütfilm erzählt, packt einen von der ersten Minute an und lässt einen auch nicht wieder los. Mit zielsicherem Fingerspitzengefühl schafft es Considine, Grenzen zu überschreiten und dennoch niemals zu weit zu gehen. Im richtigen Moment wird alles der Fantasie des Zuschauers überlassen.

Was Peter Mullan und Olivia Colman an schauspielerischer Leistung zeigen ist schon phänomenal. Und zusammen mit der routinierten Regieleistung wird hier eine Tragödie geboten, die ihre epische Wucht erst am Ende des Films (und Stunden darüber hinaus) entfaltet. „Tyrannosaur“ beschäftigt den Zuschauer, macht wütend, traurig, glücklich, nachdenklich und hilflos zu gleichen Teilen.
Es tut geradezu weh, die beiden Menschen in ihrem tristen Alltagsleben zu begleiten und zu erleben, wie sie sich voller Zweifel, Selbstmissachtung und Selbstmitleid quälen, aber sich dennoch dazu zwingen, wenigstens ein paar glückliche Momente in einer gefühllosen Welt zu erleben.
Wie hier eine Liebe zwischen den Bildern erzählt wird, hat mich so manches Mal an Fassbinders „Angst essen Seele auf“ erinnert.
Considines Film ist eine Erleuchtung, die man während, aber auch nach dem Film, so intensiv miterlebt, dass man denkt, man sei dabei gewesen, wie aus der zaghaften Freundschaft eine zerbrechliche Liebe wird, die ohne Hoffnung erscheint.
Die Art, wie sozialkritische Aspekte in zwei Lebens- und Liebesgeschichten eingarbeitet werden, ist grandios. Und wenn man sieht, wie die beiden Protagonisten mit sich selbst ringen, um den anderen und sich selbst nicht zu verletzen, wird einem ganz anders.

Mit emotionaler Wucht spielen Mullan und Colman ein Paar, das keines sein darf und dennoch eines ist, obwohl beide es lange selbst nicht bemerken.
Ich tu mich echt schwer, meine Begeisterung in Zaum zu halten :). Aber „Tyrannosaur“ ist defintiv ein Meisterwerk, das man gesehen haben muss.

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Fazit: Ein emotionales Meisterwerk, das (ohne jegliche Specialeffects, sondern nur mit reiner Schauspielkunst) mit einer Wucht daherkommt, die einen förmlich umhaut. „Tyrannosaur“ ist einer der besten Filme, die ich in den letzten Jahren gesehen habe. Die meisterhafte Regiearbeit und das atemberaubende Schauspiel der beiden Protagonisten macht „Tyrannosaur“ aus meiner Sicht zu einer der eindrucksvollsten und bewegendsten (weil völlig untypischen) Liebes-Tragödie der Filmgeschichte.

© 2014 Wolfgang Brunner

Flight (2012)

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Originaltitel: Flight

Lauflänge: 139 Minuten

Regie: Robert Zemeckis

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Captain Whip Whitaker ist Pilot – und Alkoholiker!
Als einer seiner Linienflüge abzustürzen droht, schafft es Whitaker, die Maschine in einem atemberaubenden, nicht zu glaubenden Manöver wieder unter Kontrolle zu bringen und notzulanden. Viele Menschenleben werden gerettet und Whitaker wird als Held gefeiert. Bis dann ein Untersuchungsausschuss in Whitakers Leben herumwühlt und so einiges zu Tage fördert, das seinen Ruf als Held zerstören könnte.

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Robert Zemeckis als Regisseur und Denzel Washington als Hauptdarsteller, da musste eigentlich ein guter Film dabei herauskommen. Und in der Tat: „Flight“ ist außergewöhnlich spannend und schauspielerisch auf höchstem Niveau.

Auch wenn der dramatische (und durchaus sehenswerte) Absturz der Maschine beziehungsweise die daraus resultierende Rettungsaktion des Piloten im Nachhinein unglaubwürdig und an den Haaren herbeigezogen wirkt, im Film funktioniert sie auf jeden Fall. Man hält den Atem an und fiebert mit. Ob das Ganze technisch in der Realität überhaupt möglich wäre, vergisst man in jenen Momenten.
Aber der Absturz der Maschine und deren Rettung ist schließlich nur der Auslöser für einen bestechenden Film über einen Mann, der bereits alles verloren zu haben schien und dennoch weiterkämpft.

Denzel Washington läuft während des Films zur Höchstform auf. Es pasiert nicht sehr oft, dass man einem Schauspieler den Spaß und die Freude am Dreh derart ansieht. Washington spielt seine Rolle so gut, dass man oft vergisst, dass es nur ein (Schau-)Spiel ist. Überzeugend zeigt er uns, wie es ist, dem Alkohol verfallen zu sein und dagegen anzukämpfen.

Es gibt die ein oder andere Szene, die nicht glaubwürdig wirkt (was aber nicht an Washington, sondern eher am Drehbuch liegt), über die man aber gerne hinwegsieht, wenn man an das Gesamtwerk denkt.

„Flight“ ist einer jener Filme, die einem alleine schon aufgrund der hohen Schauspielkunst des Hauptdarstellers im Gedächtnis haften bleiben. Hier wird ein menschliches Drama geboten, das fesselt und unterhält. Was will man von einem Film mehr?

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Fazit: Oskarreife Schauspielerleistung von Denzel Washington in einem beeindruckenden Drama von Robert Zemeckis, das leider an ein paar wenigen Drehbuchschwächen leidet, die man aber allzu gerne übersieht. Absolut empfehlenswert!

© Wolfgang Brunner

Gravity (2013)

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Originaltitel: Gravity

Lauflänge: 91 Minuten

Regie: Alfonso Cuaron

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Während eines Routineeinsatzes im Weltraum geraten Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) und ihre Kollege Matt Kowalsky (George Clooney) in einen Hagel aus Trümmern, die von einer zerstörten Raumstation stammen. Das Shuttle wird dabei zerstört und Stone und Kowalsky trudeln allein, nur mit einem Band miteinander verbunden, in den unendlichen Weiten des Alls. Kowalsky entwickelt einen Plan …

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„Gravity“ ist ein Film, für den die neue 3D-Technik ein Segen ist. Selten hat man den Weltraum in seiner Schön- und Grausamkeit so deutlich vor Augen wie in diesem ruhigen Kammerspiel um eine Katastrophe im All.

Bullock und Clooney ergänzen sich fantastisch und machen diesen Trip unvergesslich. Erstaunlich ist, dass man an vielen Stellen des Films denkt, dass jetzt eigentlich Schluss sein müsste, weil es keinen Ausweg mehr gibt. Und dennoch schaffen es die Drehbuchautoren (der Regisseur und sein Sohn) immer wieder, die Handlung voranzutreiben.

„Gravity“ ist ein Ausnahmefilm der heutigen Zeit, denn während sich bei den aktuellen Comicverfilmungen die Effekte nur noch in einen Effekte-Rausch-Orgasmus ergießen, nutzt Cuaron die „echten“ Möglichkeiten digitaler Effekte, um ein Szenario zu erschaffen, von dem die Menschen seit ewigen Zeiten träumen: sich in Schwerelosigkeit im Weltraum aufzuhalten.
Nie wirkt ein Effekt übertrieben, alles ist so realistisch angelegt, dass es einen förmlich vom Hocker reisst, wenn Wrackteile durchs All geschleudert werden oder sich die beiden Protagonisten einsam und alleine in einem Nichts (auch das wirkt übrigens in 3D) vorwärtsbewegen.

Nicht umsonst wurde der Film mit sieben Oscars ausgezeichnet. Sandra Bullock beeindruckt mehr als George Cloones, das liegt aber auch daran, dass sie den größeren Part spielt. Doch die eigentliche Hautprolle dieses Films ist das Weltall. Dank digitaler, geschickt eingesetzter Specialeffects, hat Cuaron eine schwerelose Welt geschaffen, die betörender nicht sein könnte.

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Fazit: Absolut sehenswerter Science Fiction Film der besonderen Art. Alle drei Darsteller (Sandra Bullock, George Clooney und das All 🙂 ) sind eindrucksvoll. Der Spannungsbogen und die Atmosphäre des Films suchen ihresgleichen im effekteüberladenen Kino der letzten Jahre. Unbedingt in 3D ansehen!

© Wolfgang Brunner

J. Edgar (2011)

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Originaltitel: J. Edgar

Lauflänge: 137 Minuten

Regie: Clint Eastwood

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Das Leben von J. Edgar Hoover, dem Chef des Federal Bureau Of Investigation, dem F.B.I. Hoover wurde gefürchtet, geächtet, bewundert und verehrt. Er kämpfte für neuartige Methoden in der Verbrechensbekämpfung, die wegweisend waren: Abnahme von Fingerabdrücken und deren Archivierung in einer Datei, Überwachung durch Wanzen und dergleichen. Sein Privatleben verbarg er, denn er wollte nicht, dass man sein Image, seine Karriere und sein Leben zerstörte.

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In gewohnt hochwertiger Qualität inszenierte Clint Eastwood die Biografie des „mächtigsten Mannes der Welt“.
„J. Edgar“ ist ein Film für Schauspieler, in dem sie zeigen können, was in ihnen steckt. Von Leonardo DiCaprio erwartet man mittlerweile eh nichts anderes mehr als eine auf höchstem Niveau präsentierte Performance. Auch in „J. Edgar“ zeigt der Schauspieler sein Können und vor allem seine Wandelbarkeit. Sowohl als junger Edgar als auch als älterer und alter Mann überzeugt er ausnahmslos. Sein Schauspiel wirkt lange nach und hat sich bei mir erst einen Tag nach Ansehen des Films so richtig entfaltet.
Neben ihm faszinierte mich aber auch Armie Hammer als homosexueller Liebhaber Hoovers und dessen Stellvertreter. Souverän zeichnet Hammer das Bild eines „normalen“ Homosexuellen. Weder über- noch untertrieben spielt er den eifersüchtigen und verliebten Mann.

Faszinierend wie das Team um Eastwood den Bogen in eine Vergangenheit schlägt, in der die Ermittlungen eines Kriminalfalls bei Weitem noch nicht die Detailgenauigkeit der heutigen Zeit erreicht hatte. Genau darum geht es, neben der persönlichen und mitunter intimen Lebensgeschichte Hoovers, in diesem Film.
Die Klärung der Entführung des Lindbergh-Babys, die damals für Schlagzeilen sorgte, nimmt einen Teil der Story ein und zeigt deutlich, mit welcher Verbissenheit Hoover sich in seine Aufgaben stürzte, aber auch vor Lügen nicht zurückschreckte.

Was Eastwood dann (natürlich zusammen mit den großartigen Schauspielern) die letzten zwanzig Minuten bietet, raubte mir den Atem. Einfühlsam und eindringlich, ruhig und meisterhaft inszeniert, zeigt das Ende des Films die wahre Liebe zwischen zwei Männern, die gemeinsam alterten. Der Schluß von „J. Edgar“ brachte mich richtig zum Weinen. Einfach toll gemacht!

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Fazit: Clint Eastwood und Leonardo DiCaprio at their best! Hochwertige, intime Biografie einer bedeutenden Persönlichkeit, die ihr Privatleben vor der Öffentlichkeit versteckte. Schauspielerisch und regietechnisch nahezu perfekt. Uneingeschränkte Empfehlung!

Captain Phillips (2013)

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Originaltitel: Captain Phillips

Lauflänge: 134 Minuten

Regie: Paul Greengrass

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Der Captain des US-amerikanischen Containerschiffs Maersk Alabama , Richard Phillips, ist im April 2009 auf dem Weg von Oman nach Mombassa. Phillips weiss um die Gefahr von Piratenangriffen in der Nähe von Somalia, rechnet aber nicht damit selbst Opfer eines solchen Angriffs zu werden.
Vier Piraten entern die Maersk Alabama und zwischen der Crew und den Piraten entbrennt ein schonungsloser Kampf ums Überleben.

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Ich war nicht sicher, was mich bei „Captain Phillips“ erwarten würde. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich von diesem Film dermaßen begeistert bin, dass er mich seit Tagen nicht mehr loslässt.
Paul Greengrass hält einen Spannungsbogen, der sich erstaunlicherweise durch den gesamten Film zieht und niemals in Längen abrutscht. Auch wenn ab der zweiten Hälfte des Films viel Patriotismus bzgl. der Navy aufkommt, überzeugt die Story nach einer wahren Geschichte. Wie viel davon wahr ist, sei dahingestellt, aber die Brutalität der Piraten und das Verhalten des Captains sind absolut überzeugend dargestellt, so dass einem bei so mancher Szene das Herz schneller schlägt.

Was Tom Hanks hier an Schauspielkunst zeigt, ist für mich oskarreif. Vor allem der Schluss ist so grandios, dass er mir nicht mehr aus dem Kopf geht. Tom Hanks hat hier wirklich eine Meisterleistung hingelegt, die mich tief beeindruckt hat.
Er hat es geschafft, die Stärken eines Captains und die (äußerst sympathischen) Schwächen eines Mannes absolut glaubhaft „rüberzubringen“.

„Captain Phillips“ ist ein Film, den ich mir sicherlich noch öfters anschauen werde.

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Fazit: Spannender, emotionaler und überzeugender Film über den Captain eines Containerschiffes, das in der Nähe von Somalia von Piraten geentert wird. Tom Hanks schauspielerische Leistungen sind oskarreif und enorm beeindruckend.

© Wolfgang Brunner