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Originaltitel: Сталкер
Regie: Andrei Tarkowski
Drehbuch: Arkadi und Boris Strugazki
Kamera: Alexander Knjaschinski
Musik: Eduard Nikolajewitsch Artemjew und Maurice Ravel, Richard Wagner, Ludwig van Beethoven
Laufzeit: 163 Minuten
Darsteller: Alexander Kaidanowski, Alissa Freindlich, Natasha Abramowa, Anatoli Solonizyn, Nikolai Grinko
Genre: Science Fiction
Produktionsland: Sowjetunion
FSK: ab 12 Jahren
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Die Handlung spielt in einer nicht näher benannten Stadt am Rande der Zone. Diese Zone ist ein militärisch abgeriegeltes Gebiet und Schauplatz merkwürdiger Dinge. Niemand kennt den genauen Grund. Sind Außerirdische dafür verantwortlich oder ein Meteoriteneinschlag? Es gibt Leute, die trotz Abriegelung in die Zone kommen wollen. Hier kommt der „Stalker“ ins Spiel. Er ist Vater einer kranken Tochter und kann es Zuhause kaum aushalten. Um seiner Frau und der Langweile der Stadt zu entfliehen, bietet er seine Dienste zwei Kunden an. Sie werden im Film einfach „Professor“ und „Schriftsteller“ genannt. Aus verschiedenen Beweggründen wollen diese beiden Männer unbedingt in die Zone. Der Legende nach gibt es dort einen Ort, an dem die sehnlichsten Wünsche in Erfüllung gehen. Dem Schriftsteller ist seit geraumer Zeit seine Inspiration abhanden gekommen, während der Professor das Gebiet vernichten will, um dessen möglichen Missbrauch zu verhindern. Aber auch der „Stalker“ selbst hat seine Gründe, an diesen Ort zu gehen. Er will den Menschen zur Hoffnung auf ein glückliches Leben verhelfen. Wer wird am Ende sein Ziel erreichen?
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„Stalker“ ist der fünfte Spielfilm des sowjetischen Regisseurs Andrej Tarkowski und gilt als Science-Fiction-Klassiker. Der Begriff „Stalker“ wird hier nicht, wie wir ihn heute kennen, sondern im Sinne eines Pfadpfinders verwendet. Der Film basiert auf dem Roman „Picknick am Wegesrand“ von Arkadi und Boris Strugazki. Er ist einer der kompliziertesten Filme, die ich mir je vorgenommen habe zu rezensieren. Leider kannte ich Tarkowski bisher gar nicht, er wurde mir von einem Freund empfohlen der weiss, dass ich mich für schwierige Filme begeistern kann. Er hat mir gesagt, ich solle am besten mit „Stalker“ beginnen. Das habe ich nun auch getan. Was macht diesen Film aus? Er hat den Mut zu fast unerträglich langen Filmeinstellungen. Man hat Zeit, sich die Bilder genau anzusehen und entdeckt dabei unerwartete kleine Details. Ich brauchte mehrere Anläufe, um mir die 163 Minuten komplett anzusehen. Öfters bin ich oft in Gedanken abgeschweift und musste pausieren, um über das Gehörte und Gesehene nachzudenken. „Stalker“ ist sowohl mit monochromem als auch mit farbigem Filmmaterial gedreht. Alle Szenen der „Außenwelt“, also außerhalb der Zone, sind in schwarz/weiß gehalten und wirken so besonders monoton und langweilig. Sobald die Gruppe des „Stalkers“ jedoch die Zone betritt tauchen plötzlich Farben auf. Sie erscheint so als begehrenswerter Ort und es wird suggeriert, dass der „Stalker“ das verbotene Gebiet immer wieder aufsucht, um Menschen dorthin zu bringen und mit ihnen seine Faszination zu teilen.
Die Handlung des Filmes stellt jedoch nicht einfach nur ein Geschehen dar. Der Zuschauer wird gefordert und muss hier mitdenken und eigene Interpretationen erstellen. Jeder sieht den Film mit anderen Augen, deshalb gibt es hier auch nicht nur eine einzige Erklärung. Und erklärt wird im Film selbst auch überhaupt nicht viel. Was ist die Zone? Wie ist sie entstanden und was bewirkt sie? Das weiß dort niemand so genau. Es ranken sich Legenden um sie und weil sie auf jeden Fall etwas Außergewöhnliches ist, wird sie von starken Polizeikräften bewacht. Angeblich gibt es in der Zone ein Zimmer, in dem sich die geheimsten Wünsche eines Menschen erfüllen. Dies könnte ein Grund für die Bewachung der Zone sein. Um den Film zu zitieren: „Denn wer kann wissen, was sich ein Mensch wünscht?“ Als die drei in der Zone ankommen, wandern sie durch eine Landschaft, die sich durch verfallene Gebäude, verrostende Industrieruinen und wucherndes Grün auszeichnen. Der „Stalker“ behauptet, man müssse sich in der Zone ehrfürchtig verhalten und müsse sich seinen Weg ertasten, da die Zone Fallen enthalte. Ständig würden sich die Verhältnisse ändern, schon so mancher sei nicht zurück gekommen.
Die drei Charaktere, die die Zone betreten, könnten unterschiedlicher nicht sein. Der „Stalker“ ist ein verzweifelter Individualist, der in der Zone den einzig annehmbaren Sinn seines Lebens gefunden zu haben scheint. Der Schriftsteller ist ein nihilistischer Zynist, der von sich, der Kultur und den Menschen nicht mehr allzu viel hält. Der Professor letztendlich ist enttäuscht von der Wissenschaft und will das Zimmer mit einer Bombe – einem Produkt der Wissenschaft – zerstören, da dies die Vernunft gebiete. Die Story und die philosophischen Dialoge des Films sprechen zwar für sich, aber der Film ist mehr als nur eine Art „Seelentrip“. Die drei Männer suchen, nachdem sie von der Zivilisation enttäuscht wurden, nach neuen Wahrheiten – letztendlich ist es die nie endende Suche nach dem Sinn des Lebens und die Verbundenheit mit der Natur. Das kommt in den Bildern, die Tarkowski zeigt, richtig gut zum Ausdruck. Die Umgebung ist durch Überbleibsel des Industriezeitalters gekennzeichnet, doch man sieht, wie sich die Natur ihren Platz zurückerobert. Die vier Elemente – Feuer, Wasser, Erde, Luft – werden vom Regisseur geschickt in die Bilder eingearbeitet.
Schlussendlich kann man den Film als eine Art Abrechnung mit dem 20. Jahrhundert sehen. Diese ist jedoch nicht endgültig, sondern stellt eher Fragen und veranlasst einen selber dazu, Fragen zu stellen. Am Ende ist es doch eher der „Stalker“, der seine Hoffnung nicht aufgibt und sich immer wieder auf den Weg macht, um anderen Menschen zu helfen. Der Film endet mit einer kuriosen Szene: Die Frau des „Stalkers“ bringt ihren erschöpften Mann zu Bett, während die Tochter, die keine Beine hat (möglicherweise eine Auswirkung der Zone? Es wird angedeutet das die Zone radioaktiv ist, daraus ergeben sich einige neue Rückschlüsse. Ich musste an Tschernobyl denken) am Tisch sitzt und dort 3 Gläser mit Hilfe einer Art Telekinese über diesen schiebt. Ein Glas fällt herunter und zerbricht. Für was stehen diese drei Gläser? Vielleicht für die drei Männer?
Was bleibt also am Ende?
Die Frage nach Ursache und Wirkung. Die Frage nach dem Stellenwert der Liebe. „Was wäre das Leben ohne Leid?“, fragt die Frau des Stalkers am Ende des Filmes. „Ein Leben ohne Leid wäre auch ein Leben ohne Glück und Hoffnung.“ Oder vielleicht war das auch Tarkowskis Antwort auf die damalige Gesellschaft in der UdSSR. Man weiß es nicht. Man kann nur vermuten. Schließen will ich mit einem wundervollen Filmzitat das mir sehr gut gefallen hat:
„Denn Schwäche ist etwas
Großes und Stärke gering. Wenn
der Mensch geboren wird, ist er
schwach und biegsam, wenn er
stirbt, ist er fest und hart. …
Härte und Stärke sind Gefährten
des Todes, Biegsamkeit und Schwäche
bekunden die Frische des Seins.
Deshalb kann nicht siegen, wer
verhärtet ist.“ ( Der Stalker)
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Fazit: Ein Film der einen zum Nachdenken bringt und in seinen Bann zieht. Alle die nicht unbedingt einen massenkonsumierten Blockbuster brauchen, um in Begeisterung zu geraten, finden hier eine Filmperle.
© 2014 Lucas Dämmig
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