Seven Days War (2019)

Originaltitel: Bokura no nanoka-kan sensô
Regie: Yuta Murano
Drehbuch: Ichirô Ôkouchi
nach einem Roman von Osamu Sôda
Kamera: Toshiya Kimura
Musik: Jun Ichikawa
Laufzeit: 88 Min.
Darsteller: –
Genre: Anime, Drama, Action
Produktionsland: Japan
FSK: ab 12 Jahre

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Der schüchterne Mamoru erfährt, dass seine heimliche Liebe Aya nach den Ferien wegzieht. Er nimmt all seinen Mut zusammen und schlägt ihr vor, einfach mit ihm und ein paar Freunden für sieben Tage abzuhauen. Als sie sich in einem verlassenen Fabrikgebäude einnisten, um ihre Party zu feiern, stoßen sie auf ein Flüchtlingskind, das wiederum von der Polizei gesucht und gejagt wird. Mamoru und seine Freunde geraten zwischen die Fronten und ihr ursprünglicher Plan bekommt plötzlich eine ganz andere Bedeutung für sie …

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„Seven Days War“ hat mich, um es kurz zu machen, richtig begeistert. Das mag zum einen an der wirklichen tollen Umsetzung liegen, zum anderen auf jeden Fall aber an der Botschaft, die dieser Film vermittelt. Ich habe nämlich nicht damit gerechnet, dass ich eine Art animinierten Coming-of-Age-Film zu sehen bekomme, der eine ganz wunderbare Nachricht an alle Teenager dieser Welt hat: Habt den Mut, ihr selbst zu sein, egal um was es geht.
Der Aufbau der Handlung hat mir sehr gut gefallen, denn es geht erst einmal um den schüchternen Jungen Mamoru, der sich in Aya verliebt hat, sich aber nicht traut, diese Liebe sich selbst und auch der Angebeteten einzugestehen. Diese Teenager-Problematik ist sehr gut und glaubhaft dargestellt. Es hat Spaß gemacht, die Reaktionen der beiden zu verfolge, die sehr überzeugend gezeichnet wurden.

Als es dann an die richtige Handlung geht, nämlich dem Kampf zwischen Jugendlichen und Erwachsenen und vor allem den Schwierigkeiten und unterschiedlichen Sichtweisen der beiden, bekommt das Publikum einige sehr beeindruckende Aufnahmen zu sehen, die hervorragend und vor allem sehr atmosphärisch gezeichnet sind. Einige unheimlich wirkende Szenen wechseln sich mit realistisch aussehenden Einstellungen ab und machen „Seven days War“ nicht nur zu einem inhaltlich interessanten Film, sondern auch aus visueller Sicht. Was ich sehr gut finde, ist, dass der Film bereits ab 12 Jahren freigegeben ist (ich habe ihn sogar mit meinem 7-jährigen Sohn angesehen, und der war total begeistert) und somit dem eigentlichen Zielpublikum zugänglich ist. Denn genau diese jungen Menschen haben mit derartigen Problemen, vor allem mit Mut gegenüber sich selbst, zu kämpfen. Und da kann ein Film wie der vorliegende „Seven Days War“ durchaus hilfreich sein.

Im Grunde genommen ist „Seven Days War“ eine tolle Coming-of-Age-Geschichte, die in ein rasantes, manchmal übertrieben effektvolles Abenteuer verpackt ist. Aber genau diese Mischung ist es, die diesen Film so besonders macht, weil er nämlich auf eine Weise unterhält, die mal offensichtlich und mal zwischen den Bildern Ratschläge und ernste Themen behandelt. Für mich war das eine außergewöhnliche Symbiose, die mir sehr gefallen hat. Die Auseinandersetzung mit Erwachsenen kann man natürlich ebenfalls aus zwei Perspektiven betrachten: Einerseits stellt sie für mich die allgegenwärtige Rebellion von jungen Menschen gegen Erwachsene, insbesondere ihre Eltern dar, andererseits zeigt sie aber auch deutlich den Übergang vom Kindsein zum Erwachsenwerden. Man könnte darin durchaus auch interpretieren, dass die Jugendlichen noch nicht bereit sind, erwachsen zu werden und dagegen ankämpfen. „Seven Days War“ ist somit auf der einen Seite ein Anime-Film, der perfekt durch seine Action unterhält und auf der anderen Seite zum Nachdenken anregt. Mehr kann man von einem guten Film nicht erwarten. Unbedingt ansehen!

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Fazit: Spannend, humorvoll und nachdenklich. Ein außergewöhnlicher Coming-of-Age-Film.

©2021 Wolfgang Brunner

The 800 (2020)

Originaltitel: Bābǎi
Regie: Guan Hu
Drehbuch: Guan Hu, Ge Rui
Kamera:  Cao Yu
Musik: Andrew Kawczynski, Rupert Gregson-Williams
Laufzeit: 149 Min.
Darsteller: Huang Zhizhong, Zhang Junyi, Oho Ou, Du Chun, Yao Chen, Zhang Chen, Wang Qianyuan, Jiang Wu, Zhang Yi, Zhang Youhao, Vision Wei, Tang Yixin, Li Jiuxiao
Genre: Historie, Krieg, Action
Produktionsland: China
FSK: ab 16 Jahre

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1937 fallen die Japaner in China ein. Die militärisch unterlegenen Chinesen ziehen sich nach Shanghai zurück, das zu einem großen Teil bereits zerstört ist. Nur ein einziges Regiment, bestehend aus 800 Soldaten und Kämpfern, verteidigt die Stadt, die zwischenzeitlich in zwei Teile gespalten ist. Auf der einen Seite das von den Japanern eingenommene Gebiet, und auf der anderen Seite eine Schutzzone, die aus diplomatischen Gründen von den Japanern weder bombardiert noch angegriffen wird.
Ein ehemaliges Lagerhaus, am Fluss gelegen, der die Grenze zwischen den beiden Stadtteilen darstellt, halten die 800 Soldaten die Stellung, um ihr Land vor dem Untergang zu retten.

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Ich war schon sehr gespannt auf diese Großproduktion aus China, zumal diese ja im Vorfeld bereits als „erfolgreichster Film des Corona-Jahres 2020“ für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Aber unabhängig von dieser „Auszeichnung“ sollte man sich „The 800“ unter der Prämisse ansehen, dass es kein europäischer oder amerikanischer Film ist, sondern eine vollkommen andere Mentalität als Grundvoraussetzung hat, um das Geschehen zu begreifen. Chinesische Filme waren für uns Europäer schon immer etwas anderes, und dazu gehört auch der vorliegende „The 800“, obwohl man diesem durchaus nicht absprechen kann, dass er zum Großteil auch Nicht-Chinesen ansprechen wird. Im Gegensatz zu vielen Aussagen ist „The 800“ für mich ein sehr emotionaler Film, der mich sehr mit den Protagonisten hat mitfühlen lassen. Guan Hus bombastischer Kriegsfilm kommt wuchtig daher und lässt den Zuschauer die zweieinhalb Stunden Laufzeit glatt vergessen. Eindringlich, bildgewaltig und extrem spannend erweckt Regisseur Hu eine Begebenheit, von denen die wenigsten wahrscheinlich bisher gehört haben. Ein verlassenes Fabrikgebäude als letzter Verteidigungsort von einer japanischen Invasion: Ein historischer Stoff, der geradezu nach einer Verfilmung schreit, weswegen man sich fragt, warum bisher noch niemand auf die Idee gekommen ist. „The 800“ bleibt nachhaltig in Erinnerung und die teils wunderschönen, aber auch sehr düsteren Bilder bekommt man nicht mehr so schnell aus dem Kopf.

Letztendlich hat mich „The 800“ bei weitem mehr begeistert, als ich mir eigentlich erhofft hatte. Von daher war der Film eine angenehme Überraschung. Auch schauspielerisch kann man sich nicht beschweren, die Darsteller agieren allesamt überzeugend, verkörpern allerdings, und das sollte man nicht vergessen, chinesische (und japanische) Charaktere, die sich schlichtweg von unserer Mentalität unterscheiden. Natürlich wird das Geschehen überwiegend heroisch dargestellt (das tun derartige Filme in der Regel meistens), aber es wirkt niemals übertrieben und stimmt mit den Lebenseinstellungen der chinesischen Bevölkerung authentisch überein. Auch in dieser Hinsicht hat mir der Film zum einen sehr gut gefallen und zum anderen eben auch überzeugt.
Die Laufzeit von knapp zweieinhalb Stunden habe ich absolut nicht bemerkt, weshalb ich mich dann auch wirklich gewundert habe, als der Film zu Ende war. Obwohl nicht wirklich viel geschieht, war alles ungemein spannend und kurzweilig in Szene gesetzt.

Ein weiterer Aspekt, der den Film neben der Thematik, Inszenierung und Schauspielkunst noch auszeichnet ist der Score. Andrew Kawczynski, der bei vielen Soundtracks von Hans Zimmer mitwirkte, hat zusammen mit Rupert Gregson-Williams bombastische Klänge komponiert, die äußerst eindringlich das Geschehen untermalen und an der ein oder anderen Stelle für Gänsehaut sorgen. Besonders in den epischen Momenten erreicht ihre Musik dann auch tatsächlich die Qualität eines Hans-Zimmer-Scores, die man sich auch außerhalb des Films gut anhören und genießen. kann. Die Filmmusik trägt einen großen Anteil dazu bei, dass „The 800“ auch ein wenig amerikanisch und europäisch wirkt und keinen Vergleich mit ähnlichen Hollywood-Produktionen zu scheuen braucht. Ich habe mir von „The 800“ viel versprochen und wurde sogar noch überrascht und beeindruckt, was ich letztendlich zu sehen bekommen habe. Und wenn man dann am Ende das Gebäude, den Schauplatz, in der heutigen Zeit zu sehen bekommt, wirkt das zuvor Gesehene noch einmal doppelt so erschütternd. Für mich ist „The 800“ ein Film, den man zumindest einmal sehen muss. Ich weiß, dass ich ihn mir mit Sicherheit noch einmal ansehen werde.

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Fazit: Episch und erschütternd. Ein bombastischer Kriegsfilm aus China, der beeindruckt.

©2021 Wolfgang Brunner

8 Tage (2019)

Originaltitel: 8 Tage
Regie: Stefan Ruzowitzky, Michael Krummenacher
Drehbuch: Peter Kocyla, Rafael Parente, Benjamin Seiler
Kamera:  Benedict Neuenfels
Musik: David Reichelt
Laufzeit: 400 Min. (8 Episoden)
Darsteller: Mark Waschke, Christiane Paul, Fabian Hinrichs, Nora Waldstätten, Murathan Muslu, Henry Hübchen, Devid Striesow, David Schütter, Luisa-Céline Gaffron
Genre: Science Fiction
Produktionsland: Deutschland
FSK: ab 16 Jahre

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Ein Asteroid rast auf die Erde zu und soll in 8 Tagen an der französischen Altantikküste einschlagen. Dabei werden laut wissenschaftlichen Berechnungen weite Teile Europas vollständig vernichtet. Das Ehepaar Steiner versucht über die Grenze nach Russland zu flüchten, während Herrmann und seine hochschwangere Frau versuchen, einen der begehrten Plätze auf einem Evakuierungsflug nach Amerika zu bekommen. Der Bauunternehmer Klaus hat indessen vorgesorgt und sich heimlich während der letzten Monate einen Bunker erbaut. All diese Schicksale sind miteinander verbunden und vermischen sich zu einem dramatischen Überlebenskampf.

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Und wieder einmal beweist eine Mini-Serie, dass qualitativ Hochwertiges auch aus Deutschland kommen kann und sich nicht einmal ansatzweise hinter Hollywood-Produktionen verstecken braucht. „8 Tage“ ist eine Dystopie und ein Weltuntergangs-Katastrophen-Szenario, das man nicht mehr so schnell vergisst. Das liegt zum einen an der unglaublichen Rasanz der Inszenierung und zum anderen an den wirklich tollen Schauspielerinnen und Schauspieler, die in jeder Episode ihr Können zeigen. Hinzu kommt dann noch der Score von David Reichelt, der eine Sogwirkung entfaltet, der man sich nicht entziehen kann. All diese Zutaten machen aus „8 Tage“ ein Filmereignis, von dem man sich wünscht, es hätte doppelt so lange gedauert. Es fällt nämlich am Ende wirklich schwer, sich von den Charakteren zu trennen. Interessant ist, dass dies nicht nur die „Guten“, sondern auch irgendwie die „Bösen“ betrifft, denen man immer wieder gerne begegnet ist. Die beiden Regisseure Stefan Ruzowitzky und Michael Krummenacher haben hier einen Volltreffer gelandet, den man sich auch gerne ein zweites Mal ansieht, weil es unglaublich Spaß macht, die Geschichten der Figuren zu verfolgen und zu beobachten, wie sie sich miteinander vermischen.

Darstellerisch haben die Regisseure ein Ensemble um sich vereint, das sich sehen lassen kann. In dieser Hinsicht gab es für mich keinerlei Beschwerden, denn sie spielten allesamt perfekt und glaubwürdig. Mark Waschke als Uli Steiner konnte ebenso überzeugen wie Christiane Paul als seine Frau Susanne. Auch das Zusammenspiel der beiden war einfach nur grandios und bemerkenswert. Klaus Frankenberg hätte keiner fieser, hinterhältiger, psychopathischer und kaltblütiger darstellen als Devid Striesow. Ich weiß gar nicht, wie oft ich ihm gerne durch den Fernsehbildschirm den Hals umgedreht hätte, so hat mich seine Spielweise aufgeregt. 😉
Fabian Hinrichs als Herrmann und Nora Waldstätten als seine Frau Marion waren ebenfalls sehr eindringlich in ihrer Darstellung und haben mir ausnehmend gut gefallen. Das Schauspiel aller Beteiligten war sehr intensiv und emotional,. so dass es einen wirklich mitgerissen hat. Man war hautnah mit dabei.
Henry Hübchen entwickelte sich von einer fast schon unscheinbaren Nebenrolle in einen aussagekräftigen Charakter, der mich emotional in hohem Maße berührt hat und der Serie noch eine zusätzliche, menschliche Note verleiht hat, die mir imponierte.
David Schütter in seiner Rolle als Robin war phänomenal. In einer Mischung aus Klaus Kinski, André Eisermann und Christoph Waltz verschaffte er mir in manchen Szenen sogar eine Gänsehaut, so intensiv war sein Schauspiel.

„8 Tage“ ist ein Sszenario, das realistischer nicht sein könnte und Charakterzüge von Menschen zeigt, wie sie in der Wirklichkeit in solch einer Situation mit Sicherheit auch zutage treten. Das Chaos, die Liebe, die Angst, das Umdenken, die Hoffnungen … all dies kann man hundertprozentig nachempfinden.
Und wie das I-Tüpfelchen kommt dann noch der hammermäßige Score von David Reichelt hinzu, der die apokalyptischen Bilder, aber auch die ruhigen Momente so genial untermalt, dass man sich dabei ertappt, die Titelmelodie immer wieder im Kopf zu hören. Nach Sichtung bleiben nachhaltige Eindrücke zurück, an die man sich immer wieder zurückerinnert. „8 Tage“ ist einer der Serien, die man sich mit Sicherheit noch einmal ansieht, weil sie einfach zum einen unterhält und zum anderen auch zum Nachdenken anregt, dass man sein Leben vielleicht so leben sollte, wie man möchte, und das vor allem in der Gegenwart und nicht erst, wenn es eigentlich zu spät ist.
Ich vergebe volle Punktzahl für diese Miniserie aus Deutschland und freue mich schon jetzt darauf, sie bald wieder zu sehen.

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Fazit: Eindringliche, emotionale, realistische und spannende Dystopie aus Deutschland.

©2021 Wolfgang Brunner

Ip Man 4 – The Finale (2019)

Originaltitel: —
Regie: Wilson Yip
Drehbuch: Edmond Wong, Chan Tai-lee, Jil Leung
Kamera:  Kenny Tse
Musik: Kenji Kawai
Laufzeit: 105 Minuten
Darsteller: Donnie Yen, Wu Yue, Vanness Wu, Scott Adkins, Kent Cheng, Chan Kwok-Kwan, Ngo Ka-nin, Lynn Hung, Grace Englert, Chris Collins
Genre: Action, Historie
Produktionsland: China
FSK: ab 16 Jahre

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Als Ip Man erfährt, dass er an Krebs erkrankt ist, beschließt er, sich um die Zukunft seines Sohnes zu kümmern. Dazu fährt er nach San Francisco, um dort einen Studienplatz für ihn zu bekommen. In San Francisco trifft er auf seinen ehemaligen Schüler Bruce Lee, der dort ein Kampfsportstudio betreibt. Schon bald muss Ip Man feststellen, dass in Amerika Rassismus gegenüber den eingewanderten Chinesen herrscht. Es wäre nicht Ip Man, wenn er nicht einen Weg suchen würde, um die Situation zu entschärfen.

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Nachdem mit den drei Vorgängerfilmen die Meßlatte unglaublich hoch war, war ich gespannt, ob der vorliegende „Ip Man 4 – The Finale“ meinen Erwartungen gerecht wird. Um es kurz zu machen, er hat meine Erwartungen sogar übertroffen, denn was hier geboten wird, ist einem Finale mehr als gerecht. Donnie Yen kann erneut in der Hauptrolle überzeugen und zieht den Zuschauer von der ersten Minute an in seinen Bann. Seine Mimik (und auch Nicht-Mimik bei den Kämpfen) ist unglaublich, aber auch die Seite des Vaters stellt er hervorragend und emotional überzeugend dar. Ich fühlte mich ihm sofort wieder, wie schon in den ersten drei Teilen, verbunden. Yen ist noch immer in Topform und fühlt sich in seiner Paraderolle sichtlich wohl. Vor allem auch, wenn er sich schauspielerisch zurückhält, um dem realen, unscheinbaren und stillen Ip Man ähnlich zu sein.

Doch nicht nur Donnie Yen überzeugt in diesem abschließenden Teil der fulminanten Ip-Man-Reihe, sondern auch Chan Kwok-Kwan in seiner Rolle als Bruce Lee. Nicht nur, dass er dem Kultkämpfer verdammt ähnlich sieht, sondern auch seine Kampfkunst kann sich sehen lassen. Kwok-Kwan imitiert Kampfstil, Mimik und auch die sonstigen Bewegungen derart gekonnt, dass man in manchen Momenten tatsächlich denkt, der sympathische Bruce Lee sei von den Toten auferstanden. Man hätte dieser Rolle durchaus mehr Szenen geben dürfen.
Aber auch die anderen Kämpfer Chris Collins und der taiwanesisch-amerikanische Popstar Vanness Wu (bekannt aus „Birth Of The Dragon“) können uneingeschränkt überzeugen.
Scott Adkins verkörpert hier einmal eine völlig überzeichnete Figur eines Sergeant, der wie eine Hommage an Sergeant Hartman aus Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ erinnert. Seine Kampfkunst kann er eigentlich nur im Endkampf zeigen, aber dort macht es dann auch richtig Spaß, wenn der bedachte, ruhige Ip Man und der impulsiv draufschlagende Choleriker aufeinandertreffen.

Unbedingt erwähnenswert ist neben der professionellen Inszenierung auch der großartige Score von Kenji Kawai, der die Momente immer auf geniale Weise untermalt. Vor allem in der Schlussszene, bei der einige Ausschnitte aus den ersten drei Filmen gezeigt werden und einen sentimentalen Rückblick auf das Leben Ip Mans geben, entfaltet die Musik seine volle Wirkung und treibt dem Zuschauer Tränen in die Augen. „Ip Man 4 – The Finale“ ist hervorragendes Actionkino mit sympathischen oder – im Falle von Scott Adkins und Chris Collins – unsympathischen Darstellern. In Bezug auf Martial-Arts-Dramen möchte ich ihn sogar, wie die drei Vorgänger, als Meisterwerk bezeichnen.

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Fazit: Martial-Arts-Drama mit realem Hintergrund. Sehr emotional und gut gespielt.

©2020 Wolfgang Brunner

Galveston – Die Hölle ist ein Paradies (2018)

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Originaltitel: Galveston
Regie: Mélanie Laurent
Drehbuch: Jim Hammett
Kamera: Dagmar Weaver-Madsen
Musik: Marc Chouarain
Laufzeit: 94 Minuten
Darsteller: Ben Foster, Elle Fanning, Lili Reinhart, Adepero Oduye, Robert Aramayo, Maria Valverde, Beau Bridges
Genre: Drama, Thriller, Literatur
Produktionsland: USA
FSK: ab 16 Jahre

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Roy ist Profikiller und lebt irgendwie am Limit: Drogen und die Angst vor Lungenkrebs begleiten ihn durchs Leben. Für den in schmutzige Geschäfte verwickelten Stan  erledigt er so manch Drecksarbeit. Doch bei seinem letzten Auftrag geht einiges schief und er wird zur Flucht mit der jungen Prostituierten Rocky gezwungen,  die noch dazu ihre kleine Schwester mit hineinzieht. Ausgerechnet Roys Heimatstadt Galveston wird zum letzten Zufluchtsort für das ungleiche Trio, das von Stans Killern gejagt wird …

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Was für ein Film! Ohne jegliche Spezialeffekte, sondern nur mit atemberaubenden Schauspielerleistungen kann dieses Drama uneingeschränkt auftrumpfen. Es ist unglaublich, und aus meiner Sicht schon oscarreif, wie Ben Foster seine Rolle in diesem Drama meistert. Schon nach den ersten Minuten weiß man, was dieser Film bietet. Ein intensives Drama, dass einem wirklich den Atem nimmt. Ruhig und intensiv, aber dennoch mitreißend und voller Action. Es ist ein wirklich gelungener Genremix, den Mélanie Laurent nach einem Drehbuch von Jim Hammett in Szene gesetzt hat. Jim Hammet hat das Script nach seiner eigenen Romanvorlage (die er unter seinem richtigen Namen Nic Pizzolatto veröffentlicht hat) verfasst und dürfte den meisten Film- und Serienfanatikern durch seine Vorlage für „True Detectives“ bekannt sein.

„Galveston“ ist in erster Linie ein Roadmovie, in dem sich aber neben einer actionreichen, teilweise gewalttätigen Handlung auch ein Drama und eine sehr poetische und nachdenklich stimmende Liebesgeschichte verbirgt. Gerade letztere hat es mir persönlich angetan und mich sehr gefesselt und emotional berührt. Ein Hauch von „Lolita“ vermischt sich mit dem dramatischen Lebensabschnitt der beiden Protagonisten, die sich ihre Zuneigung nicht immer direkt zu verstehen geben. Genau das macht aber den Reiz jenes Aspekts dieses Films aus. Man fühlt und leidet mit den beiden, fühlt sich schlecht und glücklich gleichermaßen und beginnt immer wieder einen Hoffnungsschimmer inmitten all der sinnlosen Gewalt zu entdecken. „Galveston“ hätte gut und gerne auch aus der Feder von Larry Brown stammen können, der seinen Protagonisten ähnliche Steine in den Lebensweg legt. Die Lebensumstände erscheinen auch hier hoffnungslos, aber dennoch steckt der Plot seltsamerweise irgendwie doch voller Hoffnung. Es ist eine Gratwanderung, die sowohl schauspielerisch als auch inszenatorisch absolut gelungen ist.

 „Galveston“ ist, wenn man sich darauf einlässt beziehungsweise einlassen kann, ein unglaublich emotionaler Film, der noch lange im Gedächtnis haften bleibt. Der französischen Regisseurin Mélanie Laurent rechne ich hoch an, dass sie den Stoff konsequent ohne Hollywood-Touch inszeniert hat und schonungslos auf ein Ende hinarbeitet, mit dem der Durchschnittskinogänger mit Sicherheit nicht rechnet. Alleine aus diesem Grund, und natürlich den fulminanten Leistungen der Schauspieler – allen voran Ben Foster – ist „Galveston“ ein absolutes Muss für Filminteressierte. Diesen Film kann ich ohne Einschränkungen zu den Streifen zählen, die ich mir vierundzwanzig Stunden nach der Erstsichtung sofort wieder ansehen könnte. Energiegeladen und eindringlich, mit diesen beiden Wörtern lässt sich die Atmosphäre von „Galveston“ vielleicht am besten beschreiben. Der Spannungsbogen des Films entwickelt sich nach einem kurzen Intro, das der Beschreibung der Personen und der jeweiligen Situationen, in denen sie sich befinden, dient, zu einem Wirbelsturm aus den verschiedensten Emotionen. Bis hin zum dramatischen und ergreifenden Finale.
Dem Film wird immer wieder vorgeworfen, er vertiefe nicht genug die Charaktere, weswegen man ihnen nie genug nahekäme, um ihre Gefühle zu verstehen. Das kann ich definitiv nicht bestätigen. Beide Charaktere wuchsen mir ans Herz und ich konnte, gerade im letzten Drittel, die Liebe zwischen ihnen förmlich spüren. „Galveston“ ist für mich ein grandioser Film.

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Fazit: Roadmovie mit einer emotionaler Wucht, die zwischen den Bildern steckt.

© 2019 Wolfgang Brunner

Spurlos – Ein Sturm wird kommen (2015)

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Originaltitel: Strangerland
Regie: Kim Farrant
Drehbuch: Michael Kinirons, Fiona Seres
Kamera: P. J. Dillon
Musik: Keefus Ciancia
Laufzeit: 107 Minuten
Darsteller: Nicole Kidman, Hugo Weaving, Joseph Fiennes, Lisa Flanagan, Maddison Brown, Meyne Watts, Nicholas Hamilton
Genre: Drama
Produktionsland: Australien, Irland
FSK: ab 12 Jahre

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Eines kann man Kim Farrants Film auf alle Fälle attestieren: Bei „Spurlos – Ein Sturm wird kommen“ handelt es sich eindeutig um einen ganz großen Schauspielerfilm. Im Mittelpunkt stehen schauspielerische Leistungen und keinerlei Spezialeffekte, was in der heutigen Zeit ein geradezu erfrischendes Erlebnis darstellt. Hinzu kommt eine sehr feinfühlige und außergewöhnliche Inszenierungsweise, die mich teilweise an „Walkabout“ von Nicolas Roeg erinnert hat.
Nicole Kidman zeigt hier in der Tat, welch phantastische und auch mutige Schauspielerin in ihr steckt. Sie trägt zusammen mit Hugo Weaving den Film. Und auch wenn Joseph Fiennes eine sehr gute Darbietung liefert, so wird er von Kidman und Weaving eindeutig in den Schatten gestellt, was vielleicht auch daran liegen mag, dass die Charakterzeichung seiner  Rolle nicht tief genug ausgearbeitet wurde.
Regisseurin Farrant zeigt großes inszenatorische Können, indem sie eine geradlinige Geschichte absolut unkonventionell erzählt. Daher ist es mit Sicherheit nicht jedermanns Sache, diesem Drama zu folgen.
Mit einer unglaublichen Intensität wird hier eine dramatische Familiengeschichte erzählt, die unter anderem auch zwischenmenschliche Probleme zweier Ehepartner behandelt. Nicole Kidman stellt eine verzweifelte Frau unglaublich glaubhaft und emotional dar. Und auch wenn ihre Handlungen oftmals nicht ganz nachvollziehbar sind, so kann man sich gut durch ihre intensive Darstellung in den Charakter  hineinversetzen.

Man kann dem Film sicherlich vorwerfen, dass er sich nicht für ein bestimmtes Genre entscheiden kann. Das finde ich persönlich aber wiederum alles andere als schlimm, denn genau diese Mischung verschafft dem Zuschauer ein Gefühl, bei dem man absolut nicht weiß, wohin die Reise führt.
Hinzu kommt die wirklich sehr intensive Atmosphäre des Films, der man sich definitiv nicht entziehen kann. Manchmal möchte man gar nicht hinschauen, kann aber seinen Blick nicht von der Leinwand abwenden, weil man so fasziniert vom Agieren der Schauspieler ist und unbedingt wissen will, wie sich der Plot weiterentwickelt.
„Spurlos – Ein Sturm wird kommen“ wird den Großteil der Zuschauer ratlos (und vielleicht sogar ein bisschen enttäuscht) hinterlassen. Sicherlich ist die Haupthandlung nachvollziehbar, doch am Ende wird man verwirrt (und der ein oder andere auch unzufrieden) zurückgelassen. Denn es verhält sich ähnlich wie bei einem Film von David Lynch oder dem oben bereits erwähnten Nicolas Roeg: Die Inszenierung, und auch der Plot, lassen dem Zuschauer jede Menge eigene Interpretationsmöglichkeiten. Man versucht die philosophischen Aspekte und teilweise auch Lebensweisheiten zu erfassen, wird aber von dem Mysterium, das dieser Film ausstrahlt, schlichtweg manchmal überfordert.

Es ist sicherlich nicht jedermanns Sache. Aber wer sich auf diesen Film einlassen kann, wird mit einem fulminanten Schauspielerfilm belohnt, der sich definitiv abseits des Mainstream bewegt. Für mich persönlich eine ganz große Überraschung, die mich sowohl schauspielerisch als auch inszenatorisch absolut begeistert und überzeugt hat. „Spurlos“ hat eine enorm nachhaltige Wirkung, die auch nach Tagen noch anhält. Einige Bilder bekommt man nicht mehr aus dem Kopf, was eindeutig für die Qualität und Intensität dieses Films spricht. Auch wenn nicht wirklich viel passiert, so steckt eine gewaltige Menge in diesem Drama. Der Kameramann leistet hervorragende Arbeit und auch der Score von Keefus Ciancia könnte nicht passender sein. „Spurlos – Ein Sturm wird kommen“ ist großes Kino, das sich nicht in Hollywood-Klischees und Mainstream-Blockbuster pressen lässt, sondern seinen ganz eigenen, fantastischen Weg geht. Und das ist auch gut so … denn ich wage glatt, diesen Film als eine Art Lebenserfahrung zu bezeichnen.

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Fazit: Mystisch, schockierend, philosophisch, schön und schrecklich zugleich.  Unkonventioneller Thriller mit atemberaubenden Schauspielern.

© 2019 Wolfgang Brunner

Durch die Nacht (2013 / 2017)

Originaltitel: Durch die Nacht
Regie: Marco Pfeiffer
Drehbuch: Marco Pfeiffer
Kamera: Mirko Prokic
Musik: Lino Jednat
Laufzeit: 7 Minuten (Langfassung: 14 Minuten)
Darsteller: Randi Rettel, Jessica Klauß, Jan-Erik-Hohl, Nicole Schreier,
Livia Schwarz, Ralf T. Hoffmann, Aaron Wassilew, Julia Alsheimer, Nina
Michnik, Sissy Chrysos, Gabriele Kriedemann
Genre: Drama
Produktionsland: Deutschland
FSK: nicht geprüft

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Marie will ihren Freund Ben mit einem schönen Essen verwöhnen. Doch der Abend verläuft leider nicht so, wie sich Marie das vorgestellt hat. Verzweifelt begibt sie sich auf einen Spaziergang durch die Nacht und erfährt durch einige Begegnungen, was Leben wirklich bedeutet.

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Das Drama „Durch die Nacht“ kann von der ersten Einstellung an begeistern und hinterlässt deutliche Spuren in den Gedanken des Zusehers. Regisseur Marco Pfeiffer, der auch das Drehbuch verfasste, gelingt es in etwas mehr als fünf Minuten, einen derart zu packen, dass es fast schon Angst macht. Eine anfangs ärgerliche, kurze Zeit später aber wieder befriedigende Alltagssituation gerät zu einem Alptraum, in den sich jeder durch die intensiven Bilder des Kurzfilms hineinversetzen kann. Mit einfachen Mitteln wird in wenigen Minuten eine Palette an Gefühlen behandelt, dass es einen beim ersten (und auch noch zweiten Ansehen) schlichtweg überfordert. Liebe, Verlust, Trauer, Angst, Mut, Verzweiflung und am Ende Hoffnung. All dies passiert mit der Protagonistin, die wir auf ihrem verzweifelten Gang durch die Nacht begleiten. Und wir fühlen mit ihr, spüren die Trauer und die Verzweiflung, erleben aber auch in geschickt inszenierten Bildern die Hoffnung, die durch die Begegnung mit Mitmenschen in ihr aufkeimt.

„Durch die Nacht“ ist ein emotionaler, tiefgehender Kurzfilm, der mit Emotionen spielt und sie selbst für diejenigen deutlich macht, die sich noch nie in solch einer (oder ähnlichen) Lage befanden. Marie wird hervorragend von Randi Rettel verkörpert, der man sämtliche Emotionen abnimmt. Ihr natürliches, ungezwungenes Schauspiel ist herrlich erfrischend und echt, so dass man gar nicht genug davon bekommen kann. Sie drückt die Hilflosigkeit, den Kummer und die Niedergeschlagenheit, durch die sie in eine Spirale der Selbstzerstörung gerät, so natürlich aus, dass es einem Angst einjagen kann. Marco Pfeiffers Film drückt im Gegenzug aber auch aus, dass junge Menschen sich nicht nur im negativen Sinne „gehen lassen“, sondern auch sehr wohl an eine glückliche Zukunft und ein erfülltes Familienleben glauben können.
Jan-Erik-Hohl als Ben kann, wenngleich er nicht allzu oft zu sehen ist, durch seine charismatische und sehr sympathische Ausstrahlung punkten und lässt selbst einen männlichen Zuschauer am Ende dahinschmelzen. 😉
Und Jessica Klauß als Mutter mit Kind, die für Marie die rettende Hand darstellt, kann auf sehr positive Weise in ihrer Rolle überzeugen. Die wunderschöne und überaus passende Musikuntermalung stammt von Lino Jednat, von dem man sich in Zukunft auf jeden Fall noch mehr Scores in dieser Art wünscht.

Von „Durch die Nacht“ existiert eine Kurz- und eine Langfassung, die man beide gesehen haben sollte. Ich habe zuerst die Kurzfassung aus dem Jahr 2013 angesehen und mir danach viele Gedanken über die Handlung gemacht. So ging es anscheinend mehreren Zuschauern, denn nach der ursprünglich abgedrehten Kurzfassung entschieden sich die Macher nachträglich im Jahr 2017 noch eine Langfassung herzustellen, die bedeutend mehr auf die Beziehung von Marie und Ben eingeht und auch einige offenstehende Fragen der Kurzfassung beantwortet. Mir persönlich hat es die längere Fassung angetan, weil sie noch bedeutend mehr Emotionen in mir ausgelöst hat als die originale Kurzfassung. Für mich ein sehr beeindruckendes Filmerlebnis, das erstaunlicherweise trotz seiner kurzen Laufzeit enorm viel Gefühle beim Zuschauer wachrüttelt.
Beide Fassungen kann man auf der Film-Homepage begutachten. Eine Facebook-Seite zum Film gibt es ebenfalls, die noch weitere und vor allem aktuelle Informationen bereithält.

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Fazit: Kurzfilm mit tollen Darstellern (Randi Rettel ist einfach ein Glücksgriff) und einer unglaublich emotionalen Wucht, die einen nachhaltig beschäftigt.

© 2017 Wolfgang Brunner

Boulevard (2016)

Originaltitel: Boulevard
Regie: Dito Montiel
Drehbuch: Douglas Soesbe
Kamera: Chung-hoon Chung
Musik: Jimmy Haun, David Wittman
Laufzeit: 88 Minuten
Darsteller: Robin Williams, Kathy Baker, Roberto Aguire, Eleonore Hendricks, Giles Matthey, Bob Odenkirk
Genre: Drama
Produktionsland: Vereinigte Staaten
FSK: ab 12 Jahre

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Nolan ist sechzig Jahre alt und Bankangestellter. Er lebt ein ereignisloses Leben mit seiner Frau, bis er eines Abends auf der Heimfahrt einem Stricher begegnet. Nolan gesteht sich ein, dass er sich in den Jungen verliebt hat und führt kurze Zeit ein Doppelleben, bis er sich dazu entschließt, seiner Frau alles zu beichten.

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Robin Williams in seiner letzten Rolle. Das war genau der Grund, warum ich mich an diesen Film lange Zeit nicht herangetraut habe. Ähnlich wie nach dem Tod von James Gandolfini hatte ich Angst davor, einem meiner Lieblingsschauspieler noch einmal im Film zu begegnen, obwohl ich wusste, dass er tot ist.
Ich bin von „Boulevard“ schlichtweg begeistert. Gewohnt präzise und glaubwürdig stellt Williams den Charakter des Sechzigjährigen dar und lässt den Zuschauer fast im Glauben, Williams hätte ein Geheimnis seines eigenen Lebens gespielt. Die Sehnsucht in seinen Blicken, wenn er von einem neuen Leben träumt, sind von solcher Emotion erfüllt, dass es fast schmerzt. Robin Williams hat mit der Geschichte um ein spätes Coming Out einen unglaublich guten letzten Film hinterlassen, der noch lange nachwirkt.

Robin Williams hat mit seiner Charakterdarstellung des Nolan ein letztes Mal gezeigt, welch unglaubliches Können in ihm steckt. Der Film ist sowohl in seiner Inszenierung als auch in schauspielerischer Hinsicht minimal gehalten und entwickelt dadurch eine extrem intensive, emotionale Wirkung, um nicht zu sagen „Wucht“. Verfolgt man die innere Zerrissenheit des Protagonisten, so durchlebt man seine Unentschlossenheit in Mimik und Verhalten des Schauspielers so eindringlich, dass es einem Gänsehaut verursacht. Aber auch Unsicherheit, Schüchternheit und Sehnsucht findet man in Williams‘ Gesichtsausdruck. Man leidet mit ihm und wünscht ihm von ganzem Herzen, dass er glücklich ist. Aber Nolan liebt auf tragische Weise beide: Seine Frau und den jungen Mann. Jeden auf eine andere Art und Weise. Gerade die unspektakuläre und sehr feinfühlige Inszenierung durch Regisseur Dito Montiel veranlasst mich, die Äußerung zu wagen, dass sich „Boulevard“ ohne weiteres in die Reihe thematisch ähnliche Klassiker wie „Tod in Venedig“ oder „Brille mit Goldrand“ einreihen kann. Es mag für den ein oder anderen unglaubwürdig erscheinen, wenn sich in der heutigen Zeit ein Sechzigjähriger nicht „einfach so“ outet. Doch man darf nicht vergessen, dass die Offenheit, wie wir sie heute kennen, zum einen noch gar nicht so lange existiert und zum anderen es heutzutage immer noch schwere Vorurteile gegenüber Homosexuellen gibt. Von daher erzählt „Boulevard“ aus meiner Sicht eine durchaus realistische Geschichte, die auch heute noch passieren könnte und mit Sicherheit passiert. Ich möchte nicht wissen, wie viele Männer (oder auch Frauen) sich ihre Liebe zum eigenen Geschlecht nicht eingestehen (egal, wie alt sie sind), weil sie sich gesellschaftlichen und sozialen Zwängen unterwerfen. Gerade unter diesem Aspekt erzählt „Boulevard“ von einem unglaublich mutigen Mann, der diese Grenze überschreitet, weil sein Herz es verlangt.

Kathy Baker als Ehefrau spielt grandios und spiegelt das Gefühl wider, das eine Frau empfinden muss, wenn sie von ihrem Mann erfährt, dass er Männer liebt. Und dennoch wird gezeigt, wie sehr sie ihren Mann liebt und ihn nicht weggehen lassen will, egal welche Lebensphase er gerade durchmacht. Dieses Spiel zwischen Williams und Baker verschlägt einem den Atem, so eindringlich und authentisch ist es. Gerade die Problematik des „Sich entscheiden müssens“ wird sowohl von Robin Williams als auch seiner Filmpartnerin Kathy Baker hervorragend gespielt. Als Stricher kann Roberto Aguire ebenfalls überzeugen. Die Szenen zum Beispiel, in denen er Nolan Sex anbietet, weil er keine Gefühle zeigen kann oder mag, und Nolan dagegen nur Liebe, Zärtlichkeit und Geborgenheit fordert, sind sehr stimmungsvoll und wirken wie aus dem Leben gegriffen.
Vielleicht lehne ich mich etwas weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass dieser Film vielleicht sogar einer der besten von Robin Williams ist und er sich mit dieser Rolle eindeutig ein ewiges Denkmal gesetzt hat, in dem er nämlich ein letztes Mal alles gegeben hat, was er wirklich gut konnte: Charakterschauspiel in einer fast schon beängstigenden Perfektion.

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Fazit: Robin Williams‘ filmisches Vermächtnis, wie es intensiver und emotionaler nicht sein könnte. Eine Meisterleistung aller Beteiligten.

© 2017 Wolfgang Brunner

Liebe (2012)

liebe

Originaltitel: Amour
Regie: Michael Haneke
Drehbuch: Michael Haneke
Kamera: Darius Khondji
Musik: Franz Schubert, Ludwig van Beethoven
Laufzeit: 127 Minuten
Darsteller: Jean-Louis Trintignant, Emanuelle Riva, Isabelle Huppert, Alexandre Tharaud, William Shimell, Ramón Agirre, Rita Blanco
Genre: Drama
Produktionsland: Frankreich, Deutschland, Österreich
FSK: ab 12 Jahre

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Anna und Georg sind schon lange ein Liebespaar. Sie sind beide etwa 80 Jahre alt und genießen ihren Ruhestand. Eines Tages hat Anna einen Schlaganfall und ist rechtsseitig gelähmt. Georg besteht darauf, seine Frau zu Hause zu pflegen. Schon bald beginnt die härteste Bewährungsprobe ihrer unendlichen Liebe.

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Da fehlen einem im ersten Moment die Worte. Es dauert eine Weile, bis man realisiert, was man da soeben gesehen hat. Michael Hanekes „Liebe“ ist ein beeindruckendes Kammerspiel über die Liebe, das Leben und die Einsicht, an beider Ende  etwas loslassen zu müssen und zu verlieren. Dieses Drama über das Ende einer Liebe und Ehe ist trotz seiner „Einfachheit“ so emotional überwältigend, dass es einem die Sprache verschlägt. Ähnlich wie in Sarah Polleys „An ihrer Seite“ wird vom Verlust eines geliebten Menschen erzählt, der sich durch eine Krankheit verändert (hat). Man will ihn nicht aufgeben, verliert aber mit jedem Tag immer mehr die Kraft, es durchzuhalten. Haneke ist ein Film gelungen, der berührt und uns tief im Herzen trifft. Ohne effektheischende und kitschige Elemente wird der Alltag eines alten Ehepaars erzählt, dass sich dem Lauf der Natur stellen muss. Inniger kann man Liebe nicht ausdrücken, wie in den zärtlichen, aber ehrlichen Bildern, die uns Michael Haneke da präsentiert.

Die beiden in die Jahre gekommenen Darsteller Jean-Louis Trintignant und Emanuelle Riva spielen absolute Glanzleistungen in ihrer langen Karriere. Rivas Mut, diese Rolle zu übernehmen und zu spielen, kann mit Worten nicht genug Respekt verliehen werden, man muss es einfach sehen. Schockierender als so manch blutiger Horrorfilm erzählt Michael Haneke eine Geschichte, die jedem von uns passieren kann. Gerade deswegen fühlt man mit den beiden Liebenden und hofft, zweifelt und resigniert mit dem Mann, der seine Frau um keinen Preis der Welt aufgeben will. Man spürt die Liebe der beiden zueinander, das innige Verhältnis, das durch eine schreckliche Krankheit immer mehr zerstört und auf die Probe gestellt wird. Der triste Alltag gewinnt eine neue Bedeutung, als sich das Leben der beiden von einem Moment auf den anderen verändert.

Haneke drückt aus, was viele von uns fürchten: Letztendlich muss man immer alleine für sich Entscheidungen fällen, auch wenn man einen geliebten Partner an seiner Seite hat. „Liebe“ ist in seiner Schlichtheit einzigartig und in seiner gleichzeitigen Komplexität, die sich zwischen den Bildern verbirgt, unglaublich intensiv und wuchtig. Fast möchte man an einigen Stellen abschalten, so nah geht einem das Gezeigte. Aber man hofft, wie der Protagonist, dass sich alles zum Besseren wendet und verfolgt das Geschehen tapfer weiter. Haneke lässt den Zuschauer als stiller Beobachter teilhaben, dringt mit ihm in die intimsten Momente des Liebespaars ein und weckt in ihm trotz der dramatischen Entwicklungen Hoffnung. Seine Erzählung zeigt, dass Liebe das Wichtigste im Leben ist und, wer danach handelt, selbst die Schrecken des Lebens meistert.

Am Ende hinterlässt „Liebe“ trotz der unausweichlichen Konsequenz nicht etwa nur Betroffenheit, sondern auch ein leichtes Glücksgefühl, wie es der Protagonist gefühlt haben muss, als er eine schwerwiegende Entscheidung aus Liebe zu seiner Frau trifft. Am Ende siegt nämlich die Liebe … wie immer man es auch drehen mag.

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Fazit: Eindringliches Kammerspiel mit zwei hervorragenden, mutigen Schauspielern. Besser kann man die Liebe zweier Menschen nicht zeigen.

© 2015 Wolfgang Brunner

The Last Days (2013)

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Originaltitel: Los Últimos Días
Regie: Alex Pastor, David Pastor
Drehbuch: Alex Pastor, David Pastor
Kamera: Daniel Aranyó
Musik: Fernando Velázquez
Laufzeit: 100 Minuten
Darsteller: Quim Gutiérrez, José Coronado, Marta Etura, Leticia Dolera, Mikel Iglesias, Ivan Massagué
Genre: Science Fiction, Thriller
Produktionsland: Spanien
FSK: ab 16 Jahren

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Eine rätselhafte Epidemie, genannt „Die Panik“ sucht die Menschheit heim. Die Betroffenen haben panische Angst davor, nach draußen zu gehen. Tun sie es dennoch, werden sie von schrillen Tönen und Halluzinationen erfasst, die meistens mit dem Tod enden. In diesem Chaos machen sich Marc und Enrique durch das U-Bahn-Tunnelsystem und die Abwasserkanäle von Barcelona auf den Weg, um Marcs schwangere Freundin zu finden. Doch es ist gar nicht so einfach, durch die unterirdische, anarchische Welt an sein Ziel zu gelangen.

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Nachdem mir „Carriers“ von Alex und David Pastor schon ziemlich gut gefallen hat, war ich natürlich neugierig auf den Nachfolger und hatte mir auch so einiges davon erwartet. Und ich wurde nicht enttäuscht!
„The Last Days“ war sogar noch um ein vielfach besser, als ich dachte. 🙂

Einzig das Krankheitsbild der Epidemie „Die Panik“ wirkt unlogisch und nicht ganz nachvollziehbar. Aber was soll’s? Dafür wird der Zuschauer mit einem spannenden, ideenreichen und schauspielerisch überzeugenden Endzeitfilm belohnt, der wirklich Spaß macht und hervorragend unterhält.

Schauspielerisch stach aus meiner Sicht José Coronado hervor, der seine Rolle sehr routiniert im Griff hatte.
Die Freundschaft, die während der Reise zwischen den beiden ungleichen Männern entsteht, war sehr emotional und überzeugend dargestellt und hat mir richtig gut gefallen. Die unterirdische, anarchische Welt in den Tunnels wurde sehr glaubhaft in Szene gesetzt und erinnerte mich so manches Mal an John Carpenters „Die Klapperschlange“.

Wie schon in „Carriers“ schafften es Alex und David Pastor auch in ihrem neuen Film wieder, den Zuschauer voll auf emotionaler Ebene zu packen. Die Bilder und die Musik stimmen so hervorragend überein, dass man an manchen Stellen mit den Tränen kämpfen muss. Aber die Action kommt auch keinesfalls zu kurz und gerade diese Mischung ist es, die „The Last Days“ zu einem wirklich beeindruckenden Erlebnis macht. Ich wünschte, es gäbe mehr solcher Filme.

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Fazit: Spannend,  ruhig und emotional. Dieser Endzeit-Thriller ist eine perfekte Mischung aus Action und emotionalen Momenten. Das spanische Regieduo Alex und David Pastor haben es einfach drauf. Ganz klare Empfehlung!

© 2014 Wolfgang Brunner