Wild Republic (Staffel 1) (2021)

Originaltitel: Wild Republic
Regie: Marcus Goller, Lennart Ruff
Drehbuch: Arne Nolting, Jan Martin Scharf, Klaus Wolfertstetter, Peer Klehmet, Jan Galli
Kamera: Christian Stangassinger, Jan-Marcello Kahl
Musik: Volker Bertelmann
Laufzeit: 8 Episoden a 50 Min.
Darsteller: Emma Drogunova, Merlin Rose, Maria Dragus, Béla Gabor Lenz, Rouven Israel, Aaron Altaras, Camille Dombrowsky, Luna Jordan, Anand Batbileg
Genre: Thriller, Drama, Action
Produktionsland: Deutschland
FSK: ab 16 Jahre

*

Eine Gruppe jugendlicher Straftäter nimmt an einer Resozialisierungsmaßnahme in den Bergen teil. Doch schon am ersten Tag gerät dieses Experiment außer Kontrolle und die Jugendlichen flüchten in die Berge, wo sie sich eine eigene Existenz aufbauen.

*

Es vergehen keine fünf Minuten und man ist süchtig nach „Wild Republic“. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen bekommt man immer wieder atemberaubende Natur- und Landschaftsaufnahmen zu sehen, die zeigen, wie wunderschön und gleichzeitig rau die Natur sein kann. Und zum anderen liefern die jungen Darstellerinnen und Darsteller teilweise eine oscarreife Glanzleistung ab. Die Handlung erscheint wie eine in die Alpen verlegte Neuinterpretation von „Herr der Fliegen“, hat aber weitaus mehr zu bieten, als eine abgeänderte Kopie des Kultromans und dessen erfolgreicher Verfilmung. „Wild Republic“ ist ein Psychogramm jugendlicher Straftäter, bei dem man zu sehen bekommt, wie solche „Straftaten“ entstehen. Die Rückblicke in die Vergangenheit jedes einzelnen aus der Gruppe erschaffen ein Bild, bei dem man die Handlungsweisen des jeweiligen Charakters und ihre Entwicklung durchaus versteht.

Die Serie ist so dermaßen spannend, obwohl sie im Grunde genommen sehr ruhig und unspektakulär erzählt wird, Aber wahrscheinlich ist es genau diese Erzählweise, die „Wild Republic“ zu einem unvergesslichen Erlebnis macht. Stellenweise erinnert die Inszenierung an die grandiose Fernsehserie „Der Pass“, die ebenfalls mit ihrer Atmosphäre von der ersten bis zur letzten Folge überzeugen kann. „Wild Republic“ ist ganz großes, emotionales Kino im Serienformat, von dem man sich wünscht, es würde niemals enden. Die Charaktere wachsen einem allesamt ans Herz, sogar die Antagonisten überzeugen in ihren Rollen derart intensiv, dass es eine wahre Freude ist, ihnen bei ihrem Schauspiel zuzusehen. Vor allem Béla Gabor Lenz trumpft mit seiner Rolle als Justin auf und erinnert zeitweise an einen jungen Klaus Kinski. Auf beeindruckende Weise stellt er einen undurchsichtigen jungen Mann dar, der teils unheimlich erschreckend und dann wiederum erwachsen vernünftig erscheint. Aber auch alle anderen Darsteller sind grandios. Wie gesagt, die Schauspieler dieser Serie sind unglaublich talentiert.

Zu den wunderschönen Aufnahmen und der fast schon melancholisch erzählten Geschichte gesellt sich noch der hypnotisierende Score von Volker Bertelmann hinzu, der die Atmosphäre nicht nur auf geniale Weise unterstützt, sondern auch in manchen Szenen geradezu mystische Emotionen erschafft. Bei dieser Serie, die, wenn man genauer darüber nachdenkt, eigentlich gar keine bahnbrechende Handlung aufweist, stimmt einfach alles: Setting, Schauspieler, Atmosphäre, Kameraführung, Spannungsaufbau und Soundtrack. Sicherlich kann man den Drehbuchautoren vorwerfen, dass so manches ein wenig vorhersehbar ist, aber die Wendung am Ende kommt dann doch wiederum überraschend und sorgt für frischen Wind. Mich persönlich hat „Wild Republic“ absolut begeistert.

*

Fazit: Atemberaubende Bilder und ein perfektes Ensemble machen die Serie zu einem Highlight.

©2022 Wolfgang Brunner

Superdeep (2020)

Originaltitel: The Superdeep
Regie: Arseny Syuhin
Drehbuch: Arseny Syuhin
Kamera: Hayk Kirakosyan
Musik: Dmitry Selipanov
Laufzeit: 100 Min. (Langfassung 115 Min.)
Darsteller: Milena Radulovic, Sergey Ivanyuk, Nikolay Kovbas, Nikita Dyuvbanov, Viktor Nizovoy, Vadim Demchog
Genre: Science Fiction, Horror
Produktionsland: Russland
FSK: ab 16 Jahre

*

Ein Forschungsteam begibt sich durch ein gigantisches Bohrloch unter die Erdoberfläche, um eine geheimnisvolle, schreckliche Krankheit zu erforschen. Was sie im Erdinneren finden, überschreitet ihr Vorstellungsvermögen und stellt sich als größte Bedrohung in der Geschichte der Menschheit heraus. Die Zukunft der Erde liegt in den Händen der Forscher.

*

Vergleiche wie John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“ oder Ridley Scotts „Alien“ lassen den geneigten Filmfan zum einen aufhören und zum anderen sofort argwöhnisch werden. Wie kann man sich nur erdreisten einen neuen Film mit Kultklassikern zu vergleichen, die deren Qualität ohnehin niemals erreichen werden? Es ist letztendlich immer das gleiche Spiel und man sollte vollkommen unvoreingenommen an solche reißerischen Aufzählungen herangehen. Im Falle von „Superdeep“ sind jedoch beide Vergleiche wirklich sehr naheliegend, obwohl Regisseur Arseny Syuhin eine eigenständige Geschichte erzählt, die dennoch immer wieder in verschiedenen Szenen an die beiden genannten Klassiker erinnert. Aber das ist auch gar nicht verwerflich, sondern macht, ganz im Gegenteil, sogar unglaublich viel Spaß. „Superdeep“ besitzt eine tolle Atmosphäre, die hin und wieder tatsächlich sogar den Anschein macht, er wäre vom Meister John Carpenter höchstpersönlich inszeniert worden. Auch der Score von Dmitry Selipanov unterstützt diesen Eindruck ebenfalls, besonders dann im spannenden Finale. „Superdeep“ könnte man also fast einen John-Carpenter-Film nennen, der nicht von Carpenter gedreht wurde. 😉

Die Verwendung von überwiegend handgemachten Spezialeffekten verströmt eine Horror-Ästhetik der 1980er-Jahre und macht daher unglaublich viel Spaß.
Leider wirken einige Dialoge etwas unbeholfenen und hölzern. Hinzu kommt, dass sie die Handlung auch nicht wirklich vorantreiben oder eine tiefere Charakterzeichnung eines Protagonisten zeichnen, sondern einem eher wie Füllsel vorkommen. Wirklich störend ist es allerdings nicht, weil man dennoch gespannt ist, wie sich die Geschichte weiterentwickelt. Hauptsächlich sind es aber die brillanten Spezialeffekte, die „Superdeep“ zu einem sehenswerten Film machen.
Regisseur Arseny Syuhin lässt sich Zeit mit seiner Konstruktion des Schreckens. Das mag für den ein oder anderen Zuschauer Grund genug sein, Kritik am Film zu üben, andere werden diesen schleichenden Aufbau genießen, weil er sich dadurch ein wenig von gängigen Genrebeiträgen abhebt. Vor allem der unterirdische Schauplatz ist grandios und vermittelt eine bedrückende Atmosphäre, die sich durch den ganzen Film zieht. Unter diesem Aspekt besitzt „Superdeep“ einige überaus lohnende Szenen und kann dadurch über einige Unstimmigkeiten und inszenatorische Fehler hinwegsehen lassen. Insgesamt gesehen hat mir persönlich „Superdeep“ sehr gut gefallen und ich habe mich vor allem perfekt unterhalten.

*

Fazit: Spannender Sci-Fi-Horror-Albtraum, der durch seine hervorragenden Effekte überzeugen kann.

©2021 Wolfgang Brunner

Coronoia 21 – It Comes with the Snow (2021)

Originaltitel: Coronoia 21 – It Comes with the Snow
Regie: Robert Sigl
Drehbuch: Robert Sigl
Kamera: Rostislav Stepanek
Musik: Markus Urchs
Laufzeit: 10 Min.
Darsteller: Robert Sigl, Annette Kreft
Genre: Kurzfilm, Drama, Horror
Produktionsland: Deutschland
FSK: k.A.

*

Ein Mann verliert in der Isolation während der Corona-Pandemie immer mehr seinen Verstand.

*

Ein neuer Film von Robert Sigl? Und das in einer Zeit, in der eigentlich gar keine Filme gedreht werden können? Dann auch noch das Thema Corona, das man im Grunde genommen nicht mehr hören will? Und zu guter Letzt ist es „nur“ ein Kurzfilm?
Wer jetzt denkt, „Coronoia 21“ lohnt sich nicht, irrt sich gewaltig, denn es wäre kein Robert-Sigl-Film, wenn da nicht innerhalb einer kurzen Laufzeit ein Ergebnis herauskäme, das fasziniert, begeistert und einen nicht mehr loslässt. Sigl steht für künstlerische Qualität und eine starke Ausdrucksform, wie man sie heutzutage nur noch selten in einem (deutschen) Film zu sehen bekommt. „Coronoia 21“ ist einerseits mystisch verklärt und andererseits bedrückend realistisch, weil man sich an manchen Stellen selbst darin erkennt.
Inmitten des Münchner Schneetreibens versucht ein einzelner Mensch der Pandemie, der Isolation, der Unsicherheit zu entfliehen und gerät in einen Strudel voller Selbstzweifel, ob er dem Druck standhalten kann, und Wahnsinn, der einen ereilt, wenn man irgendwann erkennt, dass der Irrsinn keine Grenzen mehr hat.
Regisseur Robert Sigl in der Hauptrolle ist ein Gewinn für diesen Kurzfilm, denn Sigl hat nicht nur das Ruder für die filmische Umsetzung, sondern auch das der darstellerischen Kraft in der Hand. Das Ergebnis ist ein Trip durchs Ich, eine Welt voller Hoffnungen und Ängste, denen man sich nicht nur während einer Pandemie stellen muss.

Und da kommt auch schon ein Aspekt zum Tragen, der mich zusätzlich zu den eigentlichen Bildern des Films begeistert. „Coronoia 21 – It Comes With The Snow“ ist in hohem Grade interpretationsfähig, denn er zeigt eine menschliche Seite, die in uns allen steckt, und eben nur in Extremsituationen zum Vorschein kommt. Hier ist es die Corona-Pandemie, die den Protagonisten an sich selbst zweifeln und verzweifeln lässt, die Ängste, die tief in uns stecken, zum Vorschein bringt, weil wir nichts anderes mehr zu tun haben, als sich mit uns selbst zu beschäftigen. Sigls Kurzfilm wirkt wie eine Mahnung, wie ein Hilferuf an die Menschen, sich nicht von all den Dingen, die auf sie einwirken, erdrücken zu lassen. Zurück zum eigenen Ich, lernen, damit umzugehen.
Die Kulisse des verschneiten München wirkt fast wie aus einem Horrorfilm, und letztendlich hat sich die Pandemie zu einem Horrorszenario für manch einen entwickelt.
Robert Sigl agiert als Schauspieler wie in einem seiner ersten Kurzfilme mit dem Titel „Der Weihnachtsbaum“. Es ist so dermaßen schön anzusehen, wie sich ein Mensch in seiner darstellerischen Ausdrucksweise kaum verändert hat und auch nach so langer Zeit mit seiner Mimik und seinen Bewegungen noch immer faszinieren und den Zuschauer in seinen Bann ziehen kann.

Aber nicht nur die Einstellungen in freier Natur, sondern auch die im Inneren des Hauses und der Wohnung verströmen eine unglaublich bedrückende (aber dennoch auch wiederum schöne) Atmosphäre aus, die man nicht mehr so schnell vergisst. Die Wohnung vermittelt eine Heimeligkeit, die immer wieder durch paranoiaartige Schreckensszenarien durchbrochen wird und dadurch zeigt, dass man nicht einmal mehr zu Hause vor erschreckenden Begebenheiten sicher ist. Gerade diese Szenen zeigen, dass wir das Grauen einer solchen Pandemie irgendwann schließlich mit in unsere Wohnstätten nehmen, von ihm eingeholt werden und uns nicht mehr dagegen wehren können.
Sigl verneigt sich selbst in „nur“ zehn Minuten vor seinen cineastischen Vorbildern, spielt mit Schatten und Lichteinfällen, lässt den Zuschauer durch diese künstlerischen Feinheiten die Zeit vergessen und zieht ihn mitten hinein ins Geschehen. „Coronoia 21“ wirkt wie ein Stummfilm aus einer glanzvollen Arä, wie ein künstlerisches Artefakt, das einer der besten deutschen Regisseure in unsere Moderne holt, um uns zu zeigen, wie man Filme dreht. Ja, wie man „echte“ Filme drehen sollte, was leider in der heutigen Zeit immer seltener passiert. Mit wenig Mitteln, einen eindrucksvollen Film zu erschaffen, das ist Kunst. Neben Robert Sigl wirkt noch die Schauspielerin Annette Kreft mit, die dem Film durch ihr Auftreten zusätzlich noch eine besondere Note verleiht, denn sie verkörpert mit ihrer Rolle viele Dinge, über die es sich lohnt, nachzudenken. Sigl-Kenner wissen außerdem, dass sie beispielsweise in dessen Filmen „School’s Out 2“ (2001) oder dem Tatort „Rache-Engel“ (2005) mitgespielt hat. Auch diese Überraschung ist äußerst gelungen, lässt sie doch mitunter die „alten“ Zeiten wieder aufleben.

„Coronoia 21“ ist gleichermaßen Anklage gegen einzelne Maßnahmen seitens des Staates als auch erst einmal selbstloses Ergeben in die Situation, die sich mit der Zeit aber immer mehr in Unsicherheit, Zweifel und letzten Endes auch in Wahnsinn äußert. Man stellt sich unweigerlich die Frage, was mit den Menschen während dieser Pandemie geschieht, die einsam und alleine in ihren Wohnungen sitzen, während ihre Seele zerbröckelt. Menschlichkeit wird leider oftmals nicht mehr so großgeschrieben wie in früheren Zeiten. Der Kurzfilm ist eine Parabel über das Menschsein, über Ängste und Hoffnungen, aber auch Selbstaufgabe und Todesängste. Zehn Minuten, die eine Unmenge an menschlichen Emotionen abdecken, und sich fest im Kopf des Betrachters verankern. Es ist fast so, als hätte man auf diesen Film gewartet, um sämtliche Auswirkungen von Corona auf den Menschen und sein Seelenleben verstehen zu können. Robert Sigl hat mit seinem Film ein Meisterwerk erschaffen, denn er hat es geschafft, den tiefsten Horror, den diese Krankheit der Menschheit beschert hat, sicht- und fühlbar zu machen.
Es wird definitiv Zeit, dass Robert Sigl einen Kinofilm macht, denn genau solche, aus tiefstem Herzen künstlerisch gedrehten Filme braucht die Branche endlich wieder. In dieser Zeit sogar mehr denn je. Sigl könnte mit wenig anderen Regisseuren dem anspruchsvollen deutschen Film zu einer Wiedergeburt verhelfen.

*

Fazit: Was macht Corona aus einem Menschen? Robert Sigl zeigt dies in kurzer Zeit auf fulminante Weise.

©2021 Wolfgang Brunner

Der Pass (2018)

Originaltitel: Der Pass
Regie: Cyrill Boss, Phillip Stennert
Drehbuch: Phillip Stennert, Cyrill Boss, Mike Majzen
Kamera: Philip Peschlow
Musik: Jacob Shea
Laufzeit: 480 Minuten (8 Episoden á zwischen 42 und 60 Minuten)
Darsteller: Julia Jentsch, Nicolas Ofczarek, Franz Hartwig, Hanno Koffler, Lucas Gregorowicz, Lukas Miko, Natasha Petrovic, Martin Feivel, Theresa Martini, Victoria Trauttmannsdorff
Genre: Krimi, Thriller
Produktionsland: Deutschland, Österreich
FSK: ab 16 Jahre

*

In den Bergen, auf der deutsch-österreichischen Grenze, wird eine Leiche gefunden. Beide Länder senden Ermittler: Die Kommissarin Ellie Stocker aus Berchtesgaden soll mit dem erfahrenen Wiener Kriminalbeamten Gedeon Winter zusammenarbeiten. Während der Ermittlungen bekommt das Ermittler-Duo immer mehr den Eindruck, dass der Mörder einen größeren Plan verfolgt.

*

Schon der Anfang erschafft innerhalb weniger Minuten eine unglaubliche Atmosphäre und entwickelt einen Sog, dem sich der Zuschauer die ganzen weiteren Folgen nicht mehr entziehen kann. Die alpine Kulisse, die düstere Stimmung, die mehr als genial dazu passende Musik und das Aufeinandertreffen deutscher und österreichischer Ermittler an der Grenze ihrer Länder machen „Der Pass“ zu einer der grandiosesten Krimiserien, die ich in letzter Zeit gesehen habe. Das Zurschaustellen der Leichen erinnert zwar an filmische und literarische Vorbilder, wirkt aber niemals kopiert oder plump nachgestellt, sondern vermittelt eher eine eigene Version dieser bekannten Bilder, die man dabei in den Kopf bekommt. „Der Pass“ macht bereits nach der ersten Episode süchtig und man ertappt sich dabei, dass man überlegt, die ganze Staffel an einem Abend „durchzusuchten“. 😉
Die Landschaftsaufnahmen sind beeindruckend und harmonieren mit der ganzen Atmosphäre, die diese Serie ausstrahlt. Die düstere Grundeinstellung zieht sich durch die ganze Staffel, was nicht nur an den grandiosen, aber auch bedrückenden Aufnahmen liegt, sondern auch an den durchwegs talentierten Schauspielern, die der Geschichte eine glaubhafte und in sich stimmige Richtung verleihen.

Kommen wir nun zu einem Punkt, der die Serie, neben der meisterhaften Inszenierung und den wunderschönen Landschaftsaufnahmen, von anderen Genrebeiträgen um einige Punkte abhebt: die Schauspieler. Zuerst einmal spielt Julia Jentsch ihren Charakter so natürlich, dass es eine wahre Freude ist, ihr dabei zuzusehen. Sie stellt die Figur der Ellie Stocker so menschlich und warm dar, dass man zeitweise vergisst, einer Schauspielerin zuzusehen und denkt, Jentsch spiele sich einfach nur selbst. Dieses hohe Niveau fällt in keiner einzigen Episode auch nur annähernd ab. Und neben ihr kommt dann Nicolas Ofczarek als Gedeon Winter ins Spiel, der in dieser Rolle aufgeht und eine unvergleichliche Leistung bringt, die eines Oscars würdig wäre. Sein grantlerisches, aber dennoch sympathisches Wesen kollidiert mit der trockenen Art einer grenznahen Deutschen, die aber ebenfalls einen unvergleichlichen Charme versprüht. Dieses Aufeinandertreffen bekommt man nicht mehr so schnell aus dem Kopf, denn da gibt ein Wort das andere, da harmonieren bestimmte Verhaltensweisen, obwohl sie eigentlich gar nicht harmonieren können, und, obwohl die beiden nicht wirklich zusammenpassen, passen sie hervorragend zusammen und agieren miteinander, als hätten sie nie etwas anderes getan. Es ist eine tiefe, innige Freundschaft, die diese beiden Menschen verbindet, und das wird in den einzelnen Folgen immer intensiver dargestellt – wie das Leben in Wirklichkeit auch spielt. Man wartet irgendwann tatsächlich immer darauf, ob sich die beiden nun doch noch näher kommen. Man hätte den beiden gut und gerne noch einige Stunden länger zusehen können.

Ein äußerst wichtiger Punkt, der die ganze Staffel neben den hervorragenden Schauspielern und der tollen Inszenierung auf geniale Weise unterstützt, ist der Score von Jacob Shea. Von niemand geringerem als Hans Zimmer produziert, untermalt der Komponist die düsteren Bilder mit einem epischen Klangteppich und verwandelt die ruhigen, melancholischen Szenen mit einem zauberhaften Klavierspiel zu fast schon märchenhaften Passagen. Ich habe dieses Zusammenspiel zwischen gezeigten Bildern und gehörten Emotionen genossen.
Immer wieder wird der originale österreichische Dialekt von Nicolas Ofczarek kritisiert. Die einen verstehen sein „Genuschel“ nicht, die anderen beschweren sich über die eingeblendeten Untertitel, weil sie nervig seien. Beide Kritikpunkte kann ich nicht nachvollziehen: Ich als geborener Bayer verstehe Ofczarek sowieso, aber 80Prozent seiner Worte sind auch so zu verstehen, man hätte also die Untertitel in den meisten Fällen tatsächlich nicht gebraucht. Andererseits stören sie absolut nicht, wenn sie hin und wieder eingeblendet werden und man die Worte „auf die Schnelle“ nochmal nachlesen kann.
Ganz im Gegenteil, denn genau dieses sprachliche Aufeinandertreffen macht das Ganze authentisch und stimmungsvoll. Das war einer der Punkte, der mir an „Der Pass“ ohnehin am besten gefallen hat.
Nochmals: „Der Pass“ ist eine Serie, die süchtig macht und die man sich immer wieder einmal ansehen kann. Bleibt nur zu hoffen, dass die zweite Staffel noch fertig gedreht wird, da die Dreharbeiten wegen der Corona-Pandemie zum Stillstand kamen. 😦

*

Fazit: Eine Serie zum Niederknien. Düster, spannend, authentisch, einfach nur grandios.

©2021 Wolfgang Brunner

High Ground – Der Kopfgeldjäger (2020)

Originaltitel: High Ground
Regie: Stephen Johnson
Drehbuch: Chris Anastassiades
Kamera:  Andrew Commis
Musik: –
Laufzeit: 105 Minuten
Darsteller: Simon Baker, Jacob Junior Nayinggul, Jack Thompson, Callan Mulvey, Witiyana Marika, Esmerelda Marimowa, Aaron Pedersen
Genre: Drama, Western, Thriller, Action
Produktionsland: Australien
FSK: ab 16 Jahre

*

Um seine Familie zu retten, schließt sich der junge Aborigine Gutjuk mit dem Ex-Soldaten Travis zusammen, um seinen Onkel Baywara, den gefährlichsten Krieger des ganzen Territoriums, aufzuspüren. Gutjuk und Travis verbindet ein schlimmes Ereignis aus der Vergangenheit, das die beiden einerseits näher, andererseits aber auch immer weiter auseinander bringt.

*

Was für ein gigantischer Film!
„High Ground“ ist so ruhig inszeniert und steckt dennoch voller Wucht, die einen von Anfang an packt und nicht mehr loslässt. Die Handlung kommt mit einer geradezu epischen Wucht daher und lässt den Zuschauer alles um sich herum vergessen. Zumindest erging es mir so, als ich diesem Rachefeldzug im australischen Outback zusah. Stephen Johnsons Film erinnert in seiner elegischen Inszenierung ein wenig an Nicholas Roegs „Walkabout“, geht aber noch einen Schritt weiter und trifft das Publikum genau da, wo es richtig wehtut. Weil es „menschelt“ und man die Lebenseinstellung der Ureinwohner Australiens bedeutend mehr versteht als die der sogenannten zivilisierten Menschen.

Der Aufbau der Geschichte ist unglaublich geschickt gemacht und reißt den Zuschauer sofort mit, sofern er sich nicht von der nach dem brutalen Auftakt ruhigen Inszenierungsweise abschrecken lässt und gelangweilt fühlt. „High Ground“ ist eine Ode an die Menschlichkeit und Liebeserklärung an das Leben mit Mutter Natur. Da sich die Aborigines in ihrer Originalsprache unterhalten (wird alles deutsch untertitelt) kommt eine sehr starke Authentizität auf, die das ganze Drama emotional nur noch schlimmer macht. Hinzu kommen die fantastischen Bilder der australischen Natur, so dass man sich in den Aufnahmen vollkommen verlieren kann, wenn man sich, wie gesagt, darauf einlässt. Ich hätte gut und gerne noch zwei weitere Stunden zusehen können, ohne mich auch nur eine einzige Sekunde zu langweilen.

Der Film besitzt nicht einmal einen „echten“ Score, sondern wird lediglich von traditionellen Aboriginesklängen untermalt, was ebenfalls eine enorm hypnotische Wirkung hat. Neben der grandiosen Inszenierung ist der Film auch schauspielerisch eine wahre Wonne. Simon Baker spielt hervorragend, ebenso wie die Darsteller der Aborigines. Aber auch die weiteren Schauspieler machen ihre Sache ausnehmend gut und überzeugend, so dass es bei diesem Film aus meiner Sicht letztendlich überhaupt nichts zu kritisieren gibt. Ich bin noch immer absolut von diesen grandiosen Bildern und der gefühlsintensiven Handlung gefangen und weiß schon jetzt, dass ich mir diesen Film auf jeden Fall nochmal ansehen werde.

*

Fazit: Eine philosophische, aber auch brutale Reise in eine andere Kultur mit grandiosen Landschaftsaufnahmen.

©2020 Wolfgang Brunner

Die Farbe aus dem All (2019)

farbe

Originaltitel: Color Out Of Space
Regie: Richard Stanley
nach einer Kurzgeschichte von H.P. Lovecraft
Drehbuch: Richard Stanley, Scarlett Amarise
Kamera:  Steve Annis
Musik: Colin Stetson
Laufzeit: 111 Minuten
Darsteller: Nicholas Cage, Q’orianka Kilcher, Joely Richardson, Tommy Chong, Madeleine Arthur, Brendan Meyer, Julian Hilliard, Elliot Knight
Genre: Science Fiction, Horror
Produktionsland: USA
FSK: ab 16 Jahre

*

Die Familie Gardner lebt in einem abgelegenen Farmhaus in New England, um der Hektik des Alltagslebens zu entfliehen. Es dauert nicht lange und ein Meteorit schlägt in ihrem Vorgarten auf. Der mysteriöse Stein aus dem All infiziert die Umgebung mit einer seltsamen Farbe, die Veränderungen in der Natur hervorruft. Aber auch bei Tieren und Menschen zeigen sich Auswirkungen.

*

Es ist immer schwierig, einen Film nach einer literarischen Vorlage zu drehen, zumal solch eine Vorlage auch noch Kultstatus besitzt. H.P. Lovecrafts Erzählung über eine mysteriöse Bedrohung aus dem All in Form einer mysteriösen Farbe, besitzt eine außergewöhnliche Atmosphäre, die bei den Anhängern des Autors und vielen Lesern einen ganz besonderen Status einnimmt. Es gibt bereits einige Verfilmungen dieser Geschichte, die nicht immer die Stimmung perfekt eingefangen haben, so dass auch bei Richard Stanleys Neuinterpretation sofort argwöhnische Stimmen laut wurden. Okay, es ist wirklich nicht einfach, eine Lovecraft-Story zu verfilmen, so dass man Stanley auf alle Fälle schon einmal zugute halten muss, dass er sich richtig Mühe gegeben hat. Und das erfolgreich, zumindest aus meiner Sicht.

„Die Farbe aus dem All“ besitzt in der Tat eine sehr schöne Atmosphäre, die sich gerade in der ersten Hälfte (zumindest stimmungsvoll) sehr schön an die literarische Vorlage hält. Immer mehr entwickelt sich diese Stimmung, die mich übrigens an manchen Stellen sehr an die Science-Fiction-Verfilmung „Auslöschung“ erinnert hat) zu einem Klon von John Carpenters „Das Ding aus einer anderen Welt“. Die außerirdische Farbe ist ja auch ein Ding aus einer anderen Welt, so dass mir die Entwicklung eigentlich auch noch sehr gut gefallen hat. Leider vertieft Richard Stanley diese Seite der Story so sehr, dass der Film zu einem massentauglichen Horrorfilm mutiert (was für ein Wortspiel 😉 ) und die Atmosphäre der ersten Hälfte so ein klitzeklein wenig zerstört. Nichtsdestotrotz fühlte ich mich äußerst angenehm und spannend unterhalten, zumal die Schauspieler auch noch das ihrige dazu beitrugen. Das Gesamtbild, das „Die Farbe aus dem All“ bei mir zurückließ, ist für mich auch ausschlaggebend, so dass ich auf jeden Fall behaupten kann, dass ich diesen Film nicht so schnell vergessen werde.

Visuell ist Stanleys Comeback absolut gelungen und auch die Schauspieler können allesamt überzeugen. Nicholas Cage zeigt, was er kann und spielt seine Figur sehr glaubwürdig, wie aber letztendlich alle beteiligten Darsteller. Der Score von Colin Stetson untermalt die Bilder auf sehr beeindruckende Weise.
Man sollte „De Farbe aus dem All“ eine Chance geben und ihn als von der literarischen Vorlage unabhängiges Werk betrachten, der lediglich seine Inspirationen in Lovecrafts Erzählung sucht und diese dann auf eigenständige Weise (neu) interpretiert. Ich persönlich sah in Richard Stanleys Film eine Verneigung vor dem großen Meister der fantastischen Literatur, bei der er einen Weg gehen wollte, der auch ein Massenpublikum anspricht (in der heutigen Zeit nicht unbedingt der falscheste Weg, wenngleich ich mir persönlich ein etwas unabhängigeres und vor allem intellektuelleres Ergebnis gewünscht hätte). „Die Farbe aus dem All“ stellt für mich trotz dieser Kritikpunkte eine der gelungeneren Verfilmung nach einem Stoff von H.P. Lovecraft dar, vor allem auch, weil er einen Spagat zwischen cineastischer Kunst und Mainstream schafft.

*

Fazit: Gelungene, stimmungsvolle und visuell ansprechende Literaturverfilmung mit einem tollen Cast.

©2020 Wolfgang Brunner

8 (2019)

8

Originaltitel: 8
Regie: Harold Hölscher
Drehbuch: Harold Hölscher
Kamera:  David Pienaar
Musik: Elben Schutte
Laufzeit: 95 Minuten
Darsteller: Inge Beckmann, Tshamano Sebe, Garth Breytenbach, Chris April, Keita Luna
Genre: Horror, Mystery, Drama
Produktionsland: Kanada
FSK: ab 16 Jahre

*

Ein alter Mann ist durch einen Fluch dazu verdammt, die Seelen von Menschen einzusammeln. Als William Ziel mit seiner Familie nach Südafrika in das Haus seines verstorbenen Vaters zieht, lernt seine Ziehtochter Mary den alten Mann namens Lazarus kennen und schließt mit ihm Freundschaft. Schon bald beginnt der Fluch auf Lazarus einzuwirken und das Schicksal der Familie Ziel verbindet sich mit seinem …

*

Das passiert, wenn man mit keinerlei Erwartung an einen Film herangeht, von dem man im Grunde genommen gar nicht weiß, um was es geht. So geschehen beim vorliegenden „8“, der mich bereits nach den ersten Minuten mit seiner genialen Atmosphäre gepackt und auch bis zum Ende nicht mehr losgelassen hat. „8“ ist ein Genremix aus gruseligem Horror, Drama und regionalem Glauben, der sich geschickt zwischen diesen drei Sparten bewegt und absolut zu fesseln vermag. Wer einen reinen Horrorfilm erwartet, wird vielleicht schon anhand der relativ ruhigen Inszenierungsweise enttäuscht werden. Es geht in erster Linie um die Schicksale von Lazarus und der Familie Ziel, die sich im Laufe des Films immer mehr miteinander verweben.

Untermalt von einer wunderschönen Musik des Komponisten Elben Schutte wird der Zuschauer von der Magie Südafrikas und deren geheimnisvollen Mythen eingesogen. Stellenweise fühlte ich mich sogar an den grandiosen Wes Craven-Klassiker „Die Schlange im Regenbogen“ erinnert, bei dem der Woodoo-Zauber auf ähnlich realitätsnahe Art und Weise behandelt wird. Doch „8“ ist weitaus ruhiger und widmet sich den Emotionen Lazarus’, der im Grunde genommen ein netter Zeitgenosse ist, obwohl er andererseits aber auch den Antagonisten darstellt.  In bestimmten Einstellungen werden auch Erinnerungen an „Dust Devil“ wach. „8“ stellt eine hervorragende Mischung aus verschiedenen Genres dar, die sich auf fantastische Weise miteinander verbinden und ein beeindruckendes Gesamtbild ergeben. Ich hätte gut und gerne noch einmal eineinhalb Stunden zusehen können, wie sich die Familie Ziel auf der alten Farm gegen die Einflüsse von Lazarus und dem fremden Land wehrt.
Die Mythologien Südafrikas mit ihren Dämonen und unheimlichen Kreaturen werden sehr authentisch dargestellt. Daraus resultierend wird der Tod nicht immer als negativ behaftetes Ereignis dargestellt, sondern oftmals auch als etwas Schönes. Wenn wir beispielsweise das warme Leuchten einer Kerze sehen oder einem herzerwärmenden Begräbnis einer tote Raupe beiwohnen. Der Tod nimmt Leben, erschafft aber gleichzeitig neues. Ein Gleichgewicht, das lediglich durch den auftretenden Dämon zerstört wird. Trauer, Verlust und familiäre Bindung stehen bei „8“ konsequent im Vordergrund.

Und auch wenn „8“ mit vielen vertraut erscheinenden Konventionen arbeitet, so sind manche Wendungen nicht vorherzusehen. Das Publikum wird während des gesamten Films in eine trügerische Schönheit gehüllt, die sich durch die teils sehr ausdrucksstarken Bildern noch verstärkt. Der Schrecken, der sich eigentlich durch die Handlung schleicht, bleibt unterdrückt und wird dadurch so manchen Zuschauer in seiner Eindringlichkeit und erschütternden Konsequenz nicht erreichen. Fast möchte man sagen, dass der Film zu schön, zu poetisch und philosophisch geworden ist, um den Verlust eines geliebten Menschen hinreichend dramatisch auszudrücken.
Schauspielerisch kann man an der gesamten Crew absolut nichts aussetzen. Am meisten beeindruckt haben mich persönlich Garth Breytenbach und Tshamano Sebe. Letzteren dürften einige aus Michael Crichtons „Emergency Room“ kennen.
„8“ ist eine wunderbare Abwechslung im Horrorgenre und kann vor allem durch die hervorragenden Schauspieler und seine emotionalen und künstlerischen Aspekte überzeugen.

*

Fazit: Familiendrama mit Horroranleihen. Künstlerisch und beeindruckend.

©2020 Wolfgang Brunner

Verurteilt – Jeder hat etwas zu verbergen (2018)

verurteilt

Originaltitel: Acusada
Regie: Gonzalo Tobal
Drehbuch: Ulises Porra, Gonzalo Tobal
Kamera: Fernando Lockett
Musik: Rogelio Sosa
Laufzeit: 104 Minuten
Darsteller: Lali Espósito, Gael Garcia Bernal, Leonardo Sbaraglia, Inés Estévez, Daniel Fanego, Gerardo Romano, Martina Campos
Genre: Drama, Thriller
Produktionsland: Argentinien
FSK: ab 12 Jahre

*

 Zwei Jahre nach dem gewaltsamen Tod ihrer besten Freundin muss sich die junge Dolores vor Gericht verteidigen,da sie unter Mordverdacht steht. Während ihre Eltern das Mädchen auf den Prozess vorbereiten, kämpft Dolores mit den Dämonen ihrer Vergangenheit.

*

Gonzalo Tobas Gerichtsfilm braucht nicht lange, um den Zuschauer in einen hypnotischen Sog zu ziehen, dem man bis zum Ende des Dramas nicht mehr entkommen kann. In einer wunderbar ruhigen, aber nichtsdestotrotz sehr spannenden und emotionalen Weise lässt uns der Regisseur an den Problemen und der Gefühlswelt der Protagonistin teilhaben. Präzise, aber dennoch ein wenig undurchschaubar, präsentiert Tobas den Mordfall, der den Fall des „Engels mit den Eisaugen“, Amanda Knox, als Ausgangsidee benutzt. Lali Espósito zeigt eine wirklich beeindruckende darstellerische Leistung, die sie konstant durch den ganzen Film aufrechterhält. Aber nicht nur sie, sondern auch das komplette Ensemble kann durchwegs mit seinem Agieren überzeugen.

Es ist vor allem die ruhige, und im Grunde genommen absolut unspektakuläre Inszenierung, die diesen Film so intensiv und authentisch wirken lässt. Keine reißerischen Szenen, kein blutiger Mord, der detailliert zeigt, wie jemand sein Leben verliert und keine atemberaubende Gerichtsverhandlung, bei der mit allen Mitteln um die Schuld oder Unschuld der Angeklagten gekämpft wird. Untermalt von einer fantastischen, atmosphärischen Musik wendet sich Regisseur Gonzalo Tobas vielmehr der Psyche der Protagonistin zu und zeigt, wie man innerhalb der Familie mit den Verdächtigungen umgeht. Das Ganze wirkt dabei so echt, dass man tatsächlich in manchen Momenten vergisst, einer erfundenen Geschichte beizuwohnen. Für viele ist dieser gemächliche Inszenierungsstil mit Sicherheit ein ganz großer Minuspunkt, der in der heutigen Kinowelt, in der es nur noch um „größer, besser, bombastischer“ geht, keine Chance und auch keinen Bestand hat. Für Filminteressierte, die sich für Schauspielerei und inszenatorische Feinheiten begeistern können, wird „Verurteilt“ ein kleiner Höhepunkt sein.

Wer Tobas‘ Vorgängerfilm „Der unsichtbare Gast“ kennt, weiß, was ihn bei „Verurteilt – Jeder hat etwas zu verbergen“ erwartet. Ein gefühlvolles Drama, das zwar eine schreckliche Tat erzählt, sich aber eigentlich auf etwas völlig anderes konzentriert: nämlich das Innenleben eines Menschen, der mit seinen Problemen nicht klar kommt.
Durch seine raffinierte Erzählweise wird der Film in keiner Sekunde langweilig, weil man mit der Protagonistin (und auch deren Familie) mitfiebert und wissen möchte, was wirklich geschehen ist. „Verurteilt – Jeder hat etwas zu verbergen“ ist einer jener Ausnahmefilme, die bedeutend mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, als ihnen zukommt. Wer großes Erzählkino mag, wird an diesem Drama / Thriller nicht vorbeikommen.

*

Fazit: Großartig erzähltes Drama, das durch seine ruhige Inszenierung punkten kann.

© 2019 Wolfgang Brunner

Domino – A Story of Revenge (2019)

domino

Originaltitel: Domino
Regie: Brian De Palma
Drehbuch: Petter Skavlan
Kamera: José Luis Alcaine
Musik: Pino Donaggio
Laufzeit: 89 Minuten
Darsteller: Nikolaj Coster-Waldau, Carice van Houten, Guy Pearce, Søren Malling, Nicolas  Bro, Paprika Steen
Genre: Action, Thriller
Produktionsland: Dänemark
FSK: ab 16 Jahre

*

Der Partner von Polizist Christian wird in Kopenhagener durch ein ISIS-Mitglied namens Imran ermordet. Christian jagt den Mörder, um den Tod seines Freundes zu rächen. Dabei gerät er immer tiefer in die terroristischen Machenschaften der ISI und schon bald beginnt für ihn ein Wettlauf gegen die Zeit, denn es geht plötzlich nicht mehr nur um Rache an seinem Partner, sondern darum, sein eigenes Leben zu behalten.

*

Brian De Palma ist zurück! Auch wenn seine Filme der 90er und 2000er Jahre ansprechend und teilweise brillant waren, so besaßen sie nicht mehr den Charme seiner besten Werke wie „Schwarzer Engel“, „Carrie“ oder an erster Stelle „Dressed To Kill“.
Sieht man sich die ersten Minuten von „Domino“ an, denkt man, der Meisterregisseur wäre am Ende seiner Karriere angekommen und bringt nur noch zweitklassige Filme zustande. Doch weit gefehlt. Es dauert nicht lange und der typische Brian De Palma-Touch, den man in vielen seiner letzten Filme vermisst hat, tritt auf. Das liegt vielleicht auch am grandiosen Score von Pino Donaggio, der einen sofort wieder in die „goldene Ära“ des Regisseurs zurückwirft. Die Musik untermalt das Geschehen auf optimalste Weise und beschwört eine unglaubliche Stimmung hervor, deren Bann sich man nicht entziehen kann.

Aber nicht nur inszenatorisch und musikalisch kann „Domino“ auf ganzer Linie überzeugen. Auch die Schauspieler und der Plot vermögen zu faszinieren. Alle Akteure machen ihre Sache sehr gut und spielen überzeugend ihre Charaktere. Man nimmt ihnen jede Handlung und Äußerung ab. Die Handlung ist erschreckend realistisch und regt zum Nachdenken an. Sicherlich spielt De Palma mit Klischees, aber leider treffen die meisten dieser Dinge in der Realität zu. Religiöse Fanatiker, die über Leichen gehen, um ihren Glauben zu untermauern, sind heutzutage an der Tagesordnung und „Domino“ rückt diese „Bedrohung“ ein Licht, das einem an manchen Stellen wirklich unwohl wird. Der Plot ist auf alle Fälle äußerst zeitgemäß verfasst und spiegelt eine Welt wider, in der wir uns tatsächlich befinden. Die Thematik hat mich schon sehr betroffen gemacht und bei mir Angst vor solchen Menschen verursacht. Da hat Drehbuchautor Petter Skavlan, bekannt durch seine Skripts für „Sofies Welt“ und dem hervorragenden „Kon Tiki“, ganze Arbeit geleistet.

Wer erinnert sich nicht an die magische Szene aus „Dressed To Kill“, wenn die sexuell frustrierte Hausfrau Kate Miller durchs Museum irrt und immer wieder auf einen attraktiven Unbekannten stößt, der sie nicht aus den Augen lässt. Diese Passage wird untermalt von Pino Donaggios eindringlicher Musik und gleicht dadurch fast schon einer opernhaften Inszenierung. Eine ähnliche Szene gibt es auch in „Domino“: Wenn ein Selbstmordattentäter versucht, sich in einer gefüllten Stierkampfarena selbst in die Luft zu jagen, fühlt man sich an Brian De Palmas Meisterleistung aus „Dressed To Kill“ erinnert. Auch hier gehen Score und hypnotische Inszenierung eine Symbiose ein, die einen die Welt um sich herum vergessen lässt. Das ist ganz großes Kino ohne jeglichen Effekte-Schnickschnack. Hier zählt das Können von Regisseur, Filmmusikkomponist und Schauspielern. Solche Szenen machen süchtig und ich weiß schon jetzt, dass ich „Domino“ nicht nur einmal sehen werde. Der Film war eine absolut positive Überraschung für mich, die ich nicht so schnell vergessen werde. Brian De Palma kann es immer noch – und wie!

*

Fazit: Fantastische Rückkehr von Brian De Palma zu seinen Wurzeln.

© 2019 Woilfgang Brunner

Dust Devil (1992)

devil

Originaltitel: Dust Devil
Regie: Richard Stanley
Drehbuch: Richard Stanley
Kamera: Steven Chivers
Musik: Simon Boswell
Laufzeit: 87 Minuten / Final Cut: 108 Minuten
Darsteller: Robert John Burke, Chelsea Field, Zakes Mokae, John Matshikiza, Rufus Swart, William Hotkins, Terry Norton, Russell Copley, Marianne Sägebrecht
Genre: Horror, Mystery
Produktionsland: Südafrika, Großbritannien
FSK: ab 16 Jahre

*

Ein Dämon aus alten Legenden durchstreift in Form eines Gestaltwandlers  die Wüste Namibias. Er sucht Opfer, denn mit jedem Mord wachsen seine Kräfte.
Die junge Wendy flieht vor ihrem tyrannischen Ehemann und begegnet dem geheimnisvollen Wanderer und verliebt sich in ihn.
Währenddessen begibt sich ein ortsansässiger Cop auf die Suche nach dem „Dust Devil“, um ihn ein für alle Mal auszulöschen.

*

„Dust Devil“ ist ein zwar in die Jahre gekommener Kultklassiker, der aber bis heute nichts von seinem außergewöhnlichen Reiz verloren hat. Mit einer wilden Mischung aus Horror-Thriller, Mystik und Western schafft es dieser kurzweilige Film auch heute noch absolut zu faszinieren. In hypnotischen Bildern erzählt Regisseur Richard Stanley die Reise eines Wesens aus alten Legenden aus einer anderen Dimension in unserer Realität. Wenn man sich die ersten 10 Minuten von „Dust Devil“ ansieht, fühlt man sich unwillkürlich an eine Umsetzung von Stephen Kings Roman „Schwarz“, dem ersten Teil seiner „Dunklen Turm“- Reihe erinnert. Genauso habe ich mir nämlich zum Beispiel die Hauptperson Roland vorgestellt und nicht wie in der Verfilmung „Der dunkle Turm“. Aber zurück zu „Dust Devil“. Stanley schafft es von der ersten Minute an, die Zuschauer in seinen Bann zu ziehen. Das liegt vor allem am wunderbaren Agieren des Hauptdarstellers Robert (John) Burke, aber auch an den visuell einwandfreien Aufnahmen, mit denen der Regisseur seine Geschichte erzählt. Hinzu kommt der stimmige und unglaublich atmosphärische Score von Simon Boswell, der das Geschehen auf optimalste Weise untermalt. Seine Mischung aus mystischen, sphärischen Klängen und musikalischen Westernmotiven ist auch ohne Film absolut hörenswert.

Koch Media liegt mit diesem Mediabook sowohl die knapp eineinhalbstündige Kinofassung als auch den eine Stunde und 48 Minuten dauernden Final Cut vor. Gerade letzteren sollten sich Fans dieses Films unbedingt ansehen, denn die ohnehin schon komplexe Handlung wird in diesen zwanzig Minuten weitaus mehr vertieft. Man hätte diesen Plot auch gut und gerne auf drei Stunden ausdehnen können und es wäre nicht langweilig geworden. Die neuen Szenen wurden übrigens, nicht wie man es bei solchen Projekten gewohnt ist, lediglich mit deutschen Untertiteln versehen, sondern sogar neu synchronisiert. Allerdings standen wohl die Originalsprecher und -sprecherinnen nicht mehr zur Verfügung, so dass man in diesen wenigen Szenen auffällig hörbar andere Stimmen vernimmt. Ich persönlich fand das allerdings gar nicht wirklich schlimm.
Was mir bei dieser erneuten Sichtung (ich habe „Dust Devil“ das letzte Mal vor etwa fünfundzwanzig Jahren gesehen) aufgefallen ist, sind die teilweise wirklich krassen Splatter- und Goreeinlagen, bei denen ich mich fragte, warum der Film eine FSK 16- Freigabe erhalten hat. Aber das leidige Thema  FSK hat hier nichts verloren. Freunde von Goreszenen werden bei „Dust Devil“ definitiv ihren Spaß haben, zumal die Effekte allesamt handgemacht und ohne Hilfe von Computer(programmen) angefertigt wurden.

„Dust Devil“ ist für mich heute mehr denn je ein zeitlose Kultklassiker, den man sich immer wieder mal ansehen kann (und auch sollte), denn solche Filme sind in der heutigen Zeit eher selten geworden. Obwohl „Dust Devil“ Anfang der 90er Jahre entstand, wirkt er an manchen Stellen wie ein Werk aus den „goldenen 80er Jahren“. Wer diese kleine Perle noch nicht kennt, sollte dies unbedingt nachholen, zumal es nun eine mehr als würdige Veröffentlichung auf Blu-Ray durch Koch Media gibt.

*

Fazit: Tolle Mediabook-Veröffentlichung eines heimlichen Kultfilms. Absolut sehenswert.

©2019 Wolfgang Brunner