Harpoon (2019)

Originaltitel: Harpoon
Regie: Rob Grant
Drehbuch: Rob Grant
Kamera:  Charles Hamilton
Musik: Michelle Osis
Laufzeit: 82 Minuten
Darsteller: Munro Chambers, Emily Tira, Christopher Gray, Brett Gelman
Genre: Horror, Thriller, Komödie
Produktionsland: Kanada
FSK: ab 18 Jahre

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Drei Freunde, zwei Männer und eine Frau, machen einen Bootsausflug. Was als Vergnügungsausflug beginnt, entwickelt sich zu einem wahren Horrortrip, als einer der Männer herausfindet, dass sich seine Freundin mit seinem besten Freund getroffen und mit ihm geschlafen hat. Die Beziehungsprobleme geraten zu einem blutigen Höhepunkt, als die drei allein und vollkommen abgeschnitten von der Zivilisation mitten im Ozean sind und der Motor des Boots nicht mehr anspringt.

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„Harpoon“ ist schon etwas gewöhnungsbedürftig, wenn man die ersten Minuten gesehen hat. Fernab von klischeebehafteten Jumpscare-Horrorfilmen nimmt Regisseur Rob Grant sein Publikum mit auf eine außergewöhnliche Reise, die sich erst nach Sichtung so richtig entfaltet. Zumindest war es bei mir so. Zu viele Momente wirken beim ersten Ansehen zu überzogen und man vergisst andauernd, bis auf Ausnahmen, dass es sich hierbei nicht nur um einen Horrorthriller, sondern auch um eine schwarze Komödie handelt. Aber vielleicht ist es genau dieser Aspekt, der „Harpoon“ im Nachhinein dann doch zu einem absolut sehenswerten Film macht. Leider wird einem erst gegen Ende klar, dass alles nicht bitterernst gemeint ist, sondern mit Absicht übertrieben dargestellt wird.

Man muss sich mit dem Inszenierungsstil anfreunden, um zu begreifen, dass hier ein total überzeichnetes Bild von jungen Menschen gezeigt wird, die anders mit Problemen umgehen als die vorhergehende Generation. „Harpoon“ versucht anfangs, die bedrohliche Ausgangssituation immer wieder durch witzige Einschübe aufzulockern und in Richtung Komödie zu treiben. Das dürfte die eingeschworene Thrillergemeinde etwas verstören und ärgern, denn die Spannungsmomente werden dadurch immer wieder unterbrochen. Aber dennoch bleibt einem schon bald das Lachen im Halse stecken, wenn die sexuell angetriebenen Protagonisten immer mehr außer Kontrolle geraten. Keiner traut dem anderen, jeder spielt jeden aus und sucht den besten (Überlebens-)Weg für sich. Und das alles innerhalb einer fast schon klaustrophobisch wirkenden Umgebung. Das Konzept des Regisseurs geht definitiv auf, wenn man sich darauf einlassen kann.

Die zwischenmenschlichen Probleme (die genau genommen eigentlich gar keine Probleme sind, sondern nur testosterongesteuerte Machtkämpfe zwischen den beiden Männern) beschwören von Minute zu Minute eine bedrohlichere Situation herauf, die man als Zuschauer auch allzu deutlich spürt. „Harpoon“ ist ein zynisches, bösartiges Kammerspiel auf hoher See, das sich auf die Schauspieler konzentriert und blutige Effekte nur als Schauwerte benutzt. Hinzu kommen geschickte Wendungen, mit denen man nicht rechnet, so dass sich insgesamt ein sehr guter Unterhaltungswert aus der Thriller-Horror-Komödie ergibt. Allerdings vorausgesetzt, man freundet sich mit den flapsigen und in erster Linie sexuell orientierten Sprüchen an.
Ich bin ziemlich sicher, dass „Harpoon“ einer der Filme ist, die einem bei der zweiten Sichtung besser gefallen, obwohl man die Auflösung kennt. Der Film hebt sich auf jeden Fall erfrischend anders von Genrebeiträgen ab, was für mich einen großen Pluspunkt darstellt.

Fazit: Erfrischend andersartiger Genrebeitrag mit außergewöhnlichem Erzählstil.

©2020 Wolfgang Brunner

Ip Man 4 – The Finale (2019)

Originaltitel: —
Regie: Wilson Yip
Drehbuch: Edmond Wong, Chan Tai-lee, Jil Leung
Kamera:  Kenny Tse
Musik: Kenji Kawai
Laufzeit: 105 Minuten
Darsteller: Donnie Yen, Wu Yue, Vanness Wu, Scott Adkins, Kent Cheng, Chan Kwok-Kwan, Ngo Ka-nin, Lynn Hung, Grace Englert, Chris Collins
Genre: Action, Historie
Produktionsland: China
FSK: ab 16 Jahre

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Als Ip Man erfährt, dass er an Krebs erkrankt ist, beschließt er, sich um die Zukunft seines Sohnes zu kümmern. Dazu fährt er nach San Francisco, um dort einen Studienplatz für ihn zu bekommen. In San Francisco trifft er auf seinen ehemaligen Schüler Bruce Lee, der dort ein Kampfsportstudio betreibt. Schon bald muss Ip Man feststellen, dass in Amerika Rassismus gegenüber den eingewanderten Chinesen herrscht. Es wäre nicht Ip Man, wenn er nicht einen Weg suchen würde, um die Situation zu entschärfen.

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Nachdem mit den drei Vorgängerfilmen die Meßlatte unglaublich hoch war, war ich gespannt, ob der vorliegende „Ip Man 4 – The Finale“ meinen Erwartungen gerecht wird. Um es kurz zu machen, er hat meine Erwartungen sogar übertroffen, denn was hier geboten wird, ist einem Finale mehr als gerecht. Donnie Yen kann erneut in der Hauptrolle überzeugen und zieht den Zuschauer von der ersten Minute an in seinen Bann. Seine Mimik (und auch Nicht-Mimik bei den Kämpfen) ist unglaublich, aber auch die Seite des Vaters stellt er hervorragend und emotional überzeugend dar. Ich fühlte mich ihm sofort wieder, wie schon in den ersten drei Teilen, verbunden. Yen ist noch immer in Topform und fühlt sich in seiner Paraderolle sichtlich wohl. Vor allem auch, wenn er sich schauspielerisch zurückhält, um dem realen, unscheinbaren und stillen Ip Man ähnlich zu sein.

Doch nicht nur Donnie Yen überzeugt in diesem abschließenden Teil der fulminanten Ip-Man-Reihe, sondern auch Chan Kwok-Kwan in seiner Rolle als Bruce Lee. Nicht nur, dass er dem Kultkämpfer verdammt ähnlich sieht, sondern auch seine Kampfkunst kann sich sehen lassen. Kwok-Kwan imitiert Kampfstil, Mimik und auch die sonstigen Bewegungen derart gekonnt, dass man in manchen Momenten tatsächlich denkt, der sympathische Bruce Lee sei von den Toten auferstanden. Man hätte dieser Rolle durchaus mehr Szenen geben dürfen.
Aber auch die anderen Kämpfer Chris Collins und der taiwanesisch-amerikanische Popstar Vanness Wu (bekannt aus „Birth Of The Dragon“) können uneingeschränkt überzeugen.
Scott Adkins verkörpert hier einmal eine völlig überzeichnete Figur eines Sergeant, der wie eine Hommage an Sergeant Hartman aus Stanley Kubricks „Full Metal Jacket“ erinnert. Seine Kampfkunst kann er eigentlich nur im Endkampf zeigen, aber dort macht es dann auch richtig Spaß, wenn der bedachte, ruhige Ip Man und der impulsiv draufschlagende Choleriker aufeinandertreffen.

Unbedingt erwähnenswert ist neben der professionellen Inszenierung auch der großartige Score von Kenji Kawai, der die Momente immer auf geniale Weise untermalt. Vor allem in der Schlussszene, bei der einige Ausschnitte aus den ersten drei Filmen gezeigt werden und einen sentimentalen Rückblick auf das Leben Ip Mans geben, entfaltet die Musik seine volle Wirkung und treibt dem Zuschauer Tränen in die Augen. „Ip Man 4 – The Finale“ ist hervorragendes Actionkino mit sympathischen oder – im Falle von Scott Adkins und Chris Collins – unsympathischen Darstellern. In Bezug auf Martial-Arts-Dramen möchte ich ihn sogar, wie die drei Vorgänger, als Meisterwerk bezeichnen.

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Fazit: Martial-Arts-Drama mit realem Hintergrund. Sehr emotional und gut gespielt.

©2020 Wolfgang Brunner

The Nightingale – Schrei nach Rache (2018)

Originaltitel: The Nightingale
Regie: Jennifer Kent
Drehbuch: Jennifer Kent
Kamera:  Radek Ladczuk
Musik: Jed Kurzel
Laufzeit: 136 Minuten
Darsteller: Aisling Franciosi, Sam Claflin, Baykali Ganambarr, Damon Herriman, Harry Greenwood, Ewen Leslie
Genre: Drama, Thriller
Produktionsland: Australien
FSK: ab 16 Jahre

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Die aus Irland stammende Clair ist Gefangene in einer Strafkolonie in Australien. Leutnant Hawking sieht in ihr eine Leibeigene und erniedrigt sie, wo er nur kann. Auch vor sexuellen Misshandlungen macht er nicht Halt. Als es zu einer Auseinandersetzung zwischen Hawking und Claires Ehemann kommt, muss sie mit ansehen, wie ihr Mann vor ihren Augen erschossen wird. Claire flieht und macht sich mit Hilfe eines einheimischen Fährtenleser aus den Weg, den Tod ihres Mannes zu rächen.

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Wenn ich ehrlich bin, hatte ich etwas ganz anderes von „The Nightingale“ erwartet. Vor allem, nachdem es sich bei der Regisseurin um Jennifer Kent handelt, die den umstrittenen „Babadook“ inszeniert hat. Der vorliegende Mix aus Rachethriller, Western und Familiendrama zeigt beeindruckend, dass sich Kent nicht auf ein einzelnes Genre beschränkt, sondern sehr vielseitig sein kann, was Handlung und Inszenierungsstil betrifft. „The Nightingale“ zeichnet sich nicht nur durch seine außergewöhnliche Machart (sowohl das 4:3-Format als auch Erzählstil) aus, sondern verströmt eine sehr eindringliche Stimmung, wie man sie aus einigen Western kennt. Es ist wirklich erstaunlich, wie konsequent Kent während der ganzen Filmdauer an diesem Stil festhält und deshalb ein beeindruckendes Ergebnis zustande bringt, das nachhaltig beschäftigt. 

Man muss sich auf den Film und die meist ruhige Erzählweise einlassen, um „The Nightingale“ wirklich genießen zu können. Wer denkt, er bekommt einen eiskalten Rachethriller a la „Ich spuck auf dein Grab“ serviert, wird hochgradig enttäuscht sein. Denn Jennifer Kent schockt auf andere Art und Weise, wenngleich an blutigen Aufnahmen nicht gespart wird. Aber das Grauen, das die Regisseurin vermittelt, wächst aus ganz anderen Gründen. Da spielt die Sklaverei oder die Stellung der Frau innerhalb der damaligen Männerwelt eine große Rolle, bei der man mit der Protagonistin (auch als männlicher Zuschauer) mitfiebert. Auf schonungslose Art führt uns Kent ein gesellschaftliches Bild aus jener Zeit vor Augen, dass unglaublich an den Nerven zerrt und die Hilflosigkeit der Heldin ohne große Worte zeigt. In oft poetischen Bildern wird eine zwar toughe, aber auch hilfsbedürftige Frau gezeigt, deren Rachegelüste wohl jeder Zuschauer nachvollziehen kann. An manchen Stellen fühlte ich mich immer wieder an „Das Piano“ von Jane Campion erinnert, was zum einen an der mutigen, entschlossenen Frauenfigur, aber mit Sicherheit auch an der australischen Landschaft lag.

„The Nightingale“ ist fies und tut weh. Schauspielerisch gibt es nichts auszusetzen, der Film ist bis auf die Nebenrollen mit fähigen Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt und kann auch in dieser Hinsicht absolut überzeugen.  Und auch wenn der Film meist ruhig und unspektakulär verläuft, so wirkt die über zwei Stunden lange Laufzeit niemals langweilig oder gar langatmig. Jennifer Kent hat keinen Film fürs Massenpublikum gedreht, denen bereits nach der ersten Viertelstunde klar sein dürfte, dass keinerlei Action, Splatter oder gar ein CGI-Gewitter eine Hauptrolle spielt. „The Nightingale“ folgt eher klassischen Spuren und legt Wert auf eine Handlung, wenngleich auch diese die wenigsten Mainstream-Zuschauer verstehen dürften. Für mich war der Film eine große Überraschung, die mich nachhaltig beeindruckt hat.

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Fazit: Rachefilm, Familiendrama und Charakterstudie im ArtHouse-Stil. Absolut empfehlenswert.

©2020 Wolfgang Brunner