Nomis (2018)

nomis

Originaltitel: Nomis
Alternativtitel: Night Hunter
Regie: David Raymond
Drehbuch: David Raymond
Kamera: Michael Barrett
Musik: Alex Lu
Laufzeit: 98 Minuten
Darsteller: Henry Cavill, Ben Kingsley, Alexandra Daddario, Stanley Tucci, Brendan Fletcher, Minka Kelly, Nathan Fillion
Genre: Thriller
Produktionsland: USA, Kanada
FSK: ab 16 Jahre

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Seit mehreren Jahren sucht sich ein Serienkiller junge Frauen über das Internet, um sie sexuell zu missbrauchen. Cop Marshall kommt mit Unterstützung des radikalen Coopers, der zusammen mit seiner Tochter Jagd auf diese Kinderschänder macht und diese durch Selbstjustiz bestraft, einem Verdächtigen auf die Spur. Es handelt sich um den psychisch gestörten Simon, der offensichtlich mehrere Identitäten annehmen kann. Doch ganz so einfach, wie es auf den ersten Anschein aussieht, ist es doch nicht …

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Keine fünf Minuten dauert es, bis Regisseur David Raymond den Zuschauer mit seinem Psychothriller in den Bann zieht. Man fühlt sich, natürlich aufgrund der Thematik Serienkiller, in der ein oder anderen Szene an „Sieben“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ erinnert, die in diesem Genre Meilensteine darstellen. Doch auch „Nomis“ bewegt sich in diese Richtung, was vor allem am geschickten inszenierten Plot  und zum anderen an einer phänomenalen Schauspielleistung von Brendan Fletcher liegt. Dazu aber später noch. Zuerst einmal bedarf es einer Schilderung, wie atmosphärisch „Nomis“ daherkommt. Durch die Figur des behinderten Simon stellt sich sofort eine bedrückende Stimmung ein, die sich durch den kompletten Film zieht. „Nomis“ ist düster, an einigen Stellen unglaublich brutal und in seiner Charakterzeichnung der Protagonisten tiefgehender als so manch andere Genrebeitrag. „Nomis“ macht Spaß, wenn man das bei dieser Art Thematik so nennen kann, und lässt die Zeit nur so dahinfliegen.

Henry Cavill und Ben Kingsley spielen fantastisch und man nimmt ihnen ihre Rollen uneingeschränkt ab. Ebenso können Alexandra Daddario und Stanley Tucci absolut überzeugen und verleihen dem Film einen authentischen Charme. Brendan Fletcher stiehlt jedoch allen die Show, wenn er in den psychisch behinderten und gestörten Simon zum Besten gibt. Das Szenario erinnert natürlich ein wenig an „Split“, in dem ein Serienkiller ebenfalls verschiedene Identitäten annimmt, aber „Nomis“ konzentriert sich eher nur auf zwei Seiten des Killers: eine böse und eine hilflose. Dieses doppelt Ich wird von Fletcher unglaublich intensiv dargestellt und man kann an manchen Stellen gar nicht glauben, dass dieser Mann nicht tatsächlich eine geistige Behinderung hat. Für mich war diese Darstellung oscarreif, so dass der Film weitaus mehr Beachtung verdient hätte, als ihm bisher widerfahren ist.

„Nomis“ folgt natürlich gewissen cineastischen Regeln, in dem sich zum Beispiel am Ende des Films ein Endkampf / Showdown entwickelt, den man natürlich in fast jedem Thriller auf ähnliche Art zu sehen bekommt. Da hätte man sich von den Machern etwas mehr Mut und eine unkonventionellere Vorgehensweise gewünscht, aber nach diesen Regeln / Vorgaben funktioniert anscheinend das Filmgeschäft. Nichtsdestotrotz stellt dieser „Makel“ ein Jammern auf hohem Niveau dar und tut dem Gesamtergebnis keinen Abbruch. „Nomis“ ist im Thrillergenre ein Höhepunkt des Produktionsjahres 2018 und man darf gespannt sein, ob, wann und vor allem was David Raymond hier nachlegt und ob er die selbst hochgelegte Messlatte wieder erreicht. „Absence of War“ soll der Actionthriller heißen, an dem er gerade arbeitet. Auf alle Fälle ist David Raymond ein Name, den man sich merken sollte, denn mit „Nomis“ hat er einen hervorragenden, atmosphärischen, intelligenten und spannenden Thriller abgeliefert, der sich wohltuend vom Einheitsbrei abhebt.

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Fazit: Atmosphärisch, intelligent, spannend. Mit einem hervorragenden Brendan Fletcher.

© 2019 Wolfgang Brunner

Verurteilt – Jeder hat etwas zu verbergen (2018)

verurteilt

Originaltitel: Acusada
Regie: Gonzalo Tobal
Drehbuch: Ulises Porra, Gonzalo Tobal
Kamera: Fernando Lockett
Musik: Rogelio Sosa
Laufzeit: 104 Minuten
Darsteller: Lali Espósito, Gael Garcia Bernal, Leonardo Sbaraglia, Inés Estévez, Daniel Fanego, Gerardo Romano, Martina Campos
Genre: Drama, Thriller
Produktionsland: Argentinien
FSK: ab 12 Jahre

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 Zwei Jahre nach dem gewaltsamen Tod ihrer besten Freundin muss sich die junge Dolores vor Gericht verteidigen,da sie unter Mordverdacht steht. Während ihre Eltern das Mädchen auf den Prozess vorbereiten, kämpft Dolores mit den Dämonen ihrer Vergangenheit.

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Gonzalo Tobas Gerichtsfilm braucht nicht lange, um den Zuschauer in einen hypnotischen Sog zu ziehen, dem man bis zum Ende des Dramas nicht mehr entkommen kann. In einer wunderbar ruhigen, aber nichtsdestotrotz sehr spannenden und emotionalen Weise lässt uns der Regisseur an den Problemen und der Gefühlswelt der Protagonistin teilhaben. Präzise, aber dennoch ein wenig undurchschaubar, präsentiert Tobas den Mordfall, der den Fall des „Engels mit den Eisaugen“, Amanda Knox, als Ausgangsidee benutzt. Lali Espósito zeigt eine wirklich beeindruckende darstellerische Leistung, die sie konstant durch den ganzen Film aufrechterhält. Aber nicht nur sie, sondern auch das komplette Ensemble kann durchwegs mit seinem Agieren überzeugen.

Es ist vor allem die ruhige, und im Grunde genommen absolut unspektakuläre Inszenierung, die diesen Film so intensiv und authentisch wirken lässt. Keine reißerischen Szenen, kein blutiger Mord, der detailliert zeigt, wie jemand sein Leben verliert und keine atemberaubende Gerichtsverhandlung, bei der mit allen Mitteln um die Schuld oder Unschuld der Angeklagten gekämpft wird. Untermalt von einer fantastischen, atmosphärischen Musik wendet sich Regisseur Gonzalo Tobas vielmehr der Psyche der Protagonistin zu und zeigt, wie man innerhalb der Familie mit den Verdächtigungen umgeht. Das Ganze wirkt dabei so echt, dass man tatsächlich in manchen Momenten vergisst, einer erfundenen Geschichte beizuwohnen. Für viele ist dieser gemächliche Inszenierungsstil mit Sicherheit ein ganz großer Minuspunkt, der in der heutigen Kinowelt, in der es nur noch um „größer, besser, bombastischer“ geht, keine Chance und auch keinen Bestand hat. Für Filminteressierte, die sich für Schauspielerei und inszenatorische Feinheiten begeistern können, wird „Verurteilt“ ein kleiner Höhepunkt sein.

Wer Tobas‘ Vorgängerfilm „Der unsichtbare Gast“ kennt, weiß, was ihn bei „Verurteilt – Jeder hat etwas zu verbergen“ erwartet. Ein gefühlvolles Drama, das zwar eine schreckliche Tat erzählt, sich aber eigentlich auf etwas völlig anderes konzentriert: nämlich das Innenleben eines Menschen, der mit seinen Problemen nicht klar kommt.
Durch seine raffinierte Erzählweise wird der Film in keiner Sekunde langweilig, weil man mit der Protagonistin (und auch deren Familie) mitfiebert und wissen möchte, was wirklich geschehen ist. „Verurteilt – Jeder hat etwas zu verbergen“ ist einer jener Ausnahmefilme, die bedeutend mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, als ihnen zukommt. Wer großes Erzählkino mag, wird an diesem Drama / Thriller nicht vorbeikommen.

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Fazit: Großartig erzähltes Drama, das durch seine ruhige Inszenierung punkten kann.

© 2019 Wolfgang Brunner